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Bistum Magdeburg

Hin und Her für Kinder und Caritas zermürbend

Calbe (dw) - Die wechselhafte Nachrichtenlage aus der Landeshauptstadt Magdeburg brachte am 9. und 10. Oktober den Heimalltag im Calber Caritas-Kinderheim St. Elisabeth durcheinander. Am Mittwoch hieß es, die vier- und fünfjährigen Kriegsflüchtlinge aus Bosnien, die in Calbe, Pretzsch und San-dersleben untergebracht sind, müßten in Absprache mit der bosnischen Botschaft am Freitag nach Sarajevo zurückkehren.

Am Donnerstag konnten die Erzieherinnen die eilig gepackten Koffer und Kisten jedoch wieder auspacken: Die Landesregierung hatte entschieden, die Rückführung in ein bosnisches Kinderheim auf unbestimmten Zeitpunkt zu verschieben.

"Wir haben versucht, unsere Aufregung, so gut es ging, von den Kindern fernzuhalten", sagte Heimleiter Kunibert Stitz. Die Regierungsentscheidung habe die Caritas-Trägergesellschaft St. Mauritius in keiner Weise mitbeeinflussen können. In den Händen der Caritas-Mitarbeiter liege es lediglich, daß es den Kindern für die Zeit ihres Aufenthaltes in Deutschland gut gehe.

Ein Bus mit Waisenkindern aus Sarajevo war vor vier Jahren in Sachsen-Anhalt eingetroffen. Dreizehn Säuglinge, ein Jugendlicher und eine Frau mit ihren zwei- und sechsjährigen Kindern fanden damals Aufnahme im katholischen Säuglingsheim St. Marien in Schönebeck. "Für ungefähr sechs Monate", lauteten die Schätzungen damals. Seit der Schließung des Schönebecker Heimes im Januar 1995 leben die Kinder in zwei Familiengruppen im Caritas-Kinderheim Calbe.

Die Betreuer in Schönebeck und Calbe haben sich von Anfang an verpflichtet, die Kinder nach besten Möglichkeiten für ein künftiges Leben in ihrer bosnischen Heimat vorzubereiten. Die Bosnierin Hrvat Beka wurde deshalb als Erzieherin eingestellt. Sie brachte den Waisen ihre Muttersprache bei und machte sie mit bosnischen Sitten und Bräuchen vertraut. Auch drei bosnische Familien, die in Calbe leben, haben mit den Heimkindern engen Kontakt gehalten. Zahlreiche Anfragen von deutschen Ehepaaren, die einen kleinen Bosnier adoptieren oder in Pflege nehmen wollten, mußten Kunibert Stitz und seine Mitarbeiter ablehnen.

Durch eine Patenschaft für das Kinderheim "Bijelare" in Sarajevo will das Kinderheim St. Elisabeth die herzlichen Beziehungen zu den Schützlingen auch künftig aufrechterhalten. Die Calber Mitarbeiter werden das Heim in Sarajevo durch Spenden unterstützen und mit den dortigen Mitarbeitern den Briefkontakt aufnehmen.

Auch gegenseitige Besuche und jährliche gemeinsame Ferienfreizeiten mit deutschen und bosnischen Kindern in Calbe und Bosnien-Herzegovina schweben den Mitarbeitern vor. Einige Erzieherinnen haben sich darüber hinaus zu einer Patenschaft für ein einzelnes Kind entschlossen. Die betreuende Kinderärztin wird Patin des Kindes, das gesundheitlich am stärksten an den Folgen des Krieges leidet.

Die Caritas-Mitarbeiter hoffen, daß die Magdeburger Landesregierung bald entscheidet, ob die Kinder bald, nach Schuljahresende oder noch später in ihre noch unbekannte Heimat zurückkehren. Bei Redaktionsschluß dieser Tag-des-Herrn-Ausgabe lag ein entsprechender Beschluß allerdings noch nicht vor.

"Das ständige Hin- und Hergerissensein ist nicht nur für die Kinder, sondern auch für das Personal zermürbend", sagt Kunibert Stitz.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 20.10.1996

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