Dem Leben aufhelfen
Genthin (dw) - "Christen sollten nicht nur an die Auferstehung nach dem Tod denken. Sie sollten dem Leben schon vor dem Tod aufhelfen", sagt der Genthiner Pfarrer Willi Kraning und erklärt damit das gesellschaftliche Engagement seiner Gemeinde. Einen integrativen Kindergarten, eine Caritas-Sozialstation und ein offenes Jugendzentrum haben die Katholiken in Genthin in ihrer Trägerschaft.
Willi Kranings persönliches Engagement geht noch weiter. Er ist Geschäftsführer der "Qualifizierungs- und Strukturförderungsgesellschaft" (QSG), die zur Zeit 1129 Mitarbeiter über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt und damit der größte Arbeitgeber der Stadt ist.
Einige Projekte der QSG erstrecken sich auf das ganze Bundesland. Unter anderem untersuchen QSG-Mitarbeiter neue Patente in Sachsen-Anhalt auf ihre Marktfähigkeit - in der Hoffnung, daß daraus eines Tages Firmenneugründungen erwachsen. Sie bereiten Grundstücke der Treuhandnachfolgerin BVS für den Verkauf vor und rüsten in der Genthiner Werft ein altes Schiff zum Ausflugsschiff um.
"Arbeitslosigkeit spaltet unsere Gesellschaft. Arbeitslose haben überhaupt keine Lobby, nicht einmal bei den Gewerkschaften", sagt der Genthiner Pfarrer über seine Motivation. Skeptische Anfragen über die Vereinbarkeit des ehrenamtlichen Jobs mit seinem Hauptberuf sind ihm nicht fremd: "Wenn Nächstenliebe auch zu einem katholischen Pfarrer gehört, bin ich noch ganz Pfarrer", sagt er über seine Aktivität, für die ihm sein Bischof im übrigen grünes Licht gegeben hat.
Daß gesellschaftliches Engagement mitunter nicht überall auf offene Herzen und Portemonnaies stößt, haben Willi Kraning und seine Gemeinde kürzlich zu spüren bekommen. Der Fortbestand des offenen Jugendzentrums Thomas-Morus-Haus stand auf der Kippe, nachdem die Stadt in diesem Jahr für 1996 keinen finanziellen Beitrag gab und sich dadurch ein Finanzierungsloch von 50 000 Mark auftat.
Obwohl es in Genthin kaum Angebote für Jugendliche gibt und obwohl die Einrichtung der katholischen Kirche in der Stadt durchaus geschätzt wird, mußte die katholische Gemeinde bei der Stadt jedes Jahr als Bittstellerin auftreten. Neben öffentlichen Geldern bekommt das Jugendzentrum Mittel des Henkel-Förderwerkes, der katholischen Mariengemeinde und Sponsorenbeiträge.
Nach Verhandlungen mit dem Katholischen Büro Sachsen-Anhalt und mit möglichen neuen Trägern hat die Stadt der Pfarrei jetzt einen Vertrag in Aussicht gestellt, der eine jährliche Geldsumme für das Thomas-Morus-Haus zusichert. Nach wie vor wird die Gemeinde allerdings auf Sponsoren angewiesen sein. Der Gemeinde ist der Erhalt der Einrichtung wichtig, die zwar mehr Ärger bringt als Kindergarten und Sozialstation, die aber für das künftige soziale Klima der Stadt Bedeutung hat.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 17.11.1996