Aids noch tabu?
Gespräch mit Caritas-Berater
Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Die Weltgesundheitsorganisation hat diesen Tag ins Leben gerufen, um die Solidarität mit HIV-Infizierten und Aidskranken zu stärken und die Immunschwächekrankheit ins öffentliche Bewußtsein zu rücken. Der Tag des Herrn sprach mit Günter Hansen (32), Diplom-Sozialarbeiter und Mitarbeiter in der Aidsberatungsstelle des Bistums Magdeburg, über seine Arbeit und den Umgang mit der Krankheit Aids in der Kirche.
Frage: Die Aidsberatungsstelle in Magdeburg ist die einzige Einrichtung ihrer Art in katholischer Trägerschaft in den neuen Bundesländern. Glauben sie, daß die katholische Kirche hier zu wenig für Aidskranke tut?
Antwort: Für Sachsen-Anhalt gilt dies dank unserer Magdeburger Beratungsstelle, die für das ganze Bistum zuständig ist, mit Sicherheit nicht. In den übrigen neuen Bundesländern könnte es allerdings besser sein. Hier sind meines Erachtens die Caritasverbände der anderen Bistümer gefordert, die Einrichtung solcher Beratungsstellen in ihrer Trägerschaft zu prüfen.
Frage: Muß die katholische Kirche im Umgang mit Aids noch eine gewisse Hemmschwelle überwinden?
Antwort: Ich denke, unsere Kirche kann ganz gut mit der Krankheit Aids umgehen. Probleme sehe ich allerdings immer noch seitens kirchenamtlicher Auffassungen zur Sexualität an sich, vor allem aber zur Homosexualität. Deshalb fragen Klienten, die zu uns kommen, auch erst einmal: Wie beratet ihr eigentlich? Nehmt ihr mich so, wie ich bin.
Frage: Die Vorbeugung vor Aids durch Kondome ist sicher auch Gegenstand ihrer Beratung. Wie vereinbaren sie das mit den katholischen Auffassungen?
Antwort: Es ist ja nicht Gegenstand eines Glaubensdogmas, daß die Benutzung von Kondomen verboten ist. Glauben heißt, auf die Menschen zuzugehen; sie so in ihrer Gesamtheit anzunehmen, wie sie sind. Die Entscheidung, wie man sich schützt, trifft jeder selbst. Wer sich gegen die Keuschheit entscheidet, sollte realistisch sehen: Es gibt keinen anderen Schutz als das Kondom.
Frage: Werden ihrer Erfahrung nach Aidskranke immer noch diskriminiert?
Antwort: Leider passiert dies oft auf ganz subtile Weise. Inzwischen kann man zwar über Dinge offen sprechen, wie es vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre. Dennoch ist es keine Seltenheit, daß junge Menschen auf die Straße gesetzt werden, weil sie aidskrank sind oder Vermieter sich mit der Begründung herausreden, es sei den übrigen Mietern nicht zuzumuten, mit einem Kranken im Haus leben zu müssen. Wir bieten Aidskranken in solcher Situation auch rechtliche Unterstützung an, um ihnen solche zusätzlichen Belastungen ein Stück weit abzunehmen.
Frage: Glauben Sie, daß ihre Arbeit dazu beiträgt, Menschen, die von Aids betroffen sind, in die Gesellschaft zu integrieren?
Antwort: Wir können den Betroffenen helfen, und sie nehmen unser Angebot gern in Anspruch. Unser stetes Ziel ist es, den Vorurteilen gegenüber HIV-Infizierten und Aidskranken entgegenzuwirken und so zu ihrer Integration beizutragen. Ratsuchende können sich an uns donnerstags von 14 bis 18 Uhr oder an anderen Tagen nach Vereinbarung unter Tel.: 03 91/ 5 96 12 08 wenden. Ein Gespräch ist sowohl persönlich als auch anonym möglich.
Interview: Katharina Funke
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 01.12.1996