Lasten gleichmäßig verteilen
Erfurt (ep) - Bischof Joachim Wanke hat die Gleichbehandlung freier Träger sozialer und anderer Einrichtungen im Vergleich zu staatlichen Trägern angemahnt. Beim traditionellen Elisabeth-Empfang für Bun- des-, Landes- und Kommunalpolitiker Thüringens in der vergangenen Woche in Erfurt sagte Wanke, notwendige Dienste im sozialen Bereich, zu deren Übernahme die Kirche teilweise auch gedrängt worden sei, dürften angesichts erforderlicher Sparmaßnahmen "nicht einfach wegbrechen".
Die Kirche trage Einsparungen in den öffentlichen Haushalten durchaus mit, bitte aber "um Berechenbarkeit, nach Möglichkeit auch Planbarkeit" ihrer Aktivitäten. Das Land müsse mit Kommunen und freien Trägern abstimmen, "ob die geforderten Konditionen für Förderungswürdigkeit in jedem einzelnen Fall richtig sind". (Nachdem die Bundesförderung etwa für Ehe-, Familien- und Lebensberatung oder auch für Suchtberatung in freier Trägerschaft reduziert wurde, sind Landkreise und Kommunen nach eigenen Angaben bei der Finanzierung der Einrichtungen überfordert..
Wanke verwies in diesem Zusammenhang auch auf die kirchlichen Sozialfachschulen, deren Gleichbehandlung ihm "besonders am Herzen" liege. Hintergrund: Im Thüringer Landtag werden im Rahmen der Beratungen für ein Haushaltssicherungsgesetz derzeit auch Kürzungen für die Schulen in freier Trägerschaft diskutiert, von denen besonders berufliche Schulen betroffen wären.
Dankbar äußerte sich der Bischof vor den politisch Verantwortlichen für die in Thüringen geregelten ordentlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung schulischen Religionsunterrichts. Zugleich äußerte er jedoch die "dringende Bitte", daß "jetzt sinkende Kinderzahlen auch in unserer Diasporasituation kein Hindernis" sein dürften, "angefangenen Reli- gionsunterricht in einer verantwortlichen Weise fortzusetzen oder auszubauen".
Zur allgemeinen Situation in Thüringen und den neuen Ländern sagte der Bischof, das Geschenk der Freiheit vor sieben Jahren brauche Menschen, die aus dieser Freiheit etwas machen. Wanke: "Jammern und Klagen hilft nicht, auch nicht das hinterhältige Spiel mit den Ängsten der Menschen" oder ein "neues ideologisches Denken". Nötig für "ein freies Thüringen mit Zukunft" sei, bei der Wahrheit zu bleiben, die Solidarität nicht auszuhebeln und zum eigenen Opfer bereit zu sein".
Der Bischof erinnerte daran, daß "die soziale Marktwirtschaft ethische und geistige Vorausssetzungen nötig" hat, damit sich ihrer - zum Schaden der Mehrheit - nicht "Eigennutz und Gruppeninteressen" bemächtigen. Die Kirche werde auch in ihrem kurz vor der Endredak-tion stehenden Sozialwort "an das Prinzip der Gerechtigkeit, die unteren sozialen Schichten nicht stärker zu belasten als andere," und "an das Prinzip der Personenwürde" erinnern. Weil Arbeit etwas mit dieser Personenwürde zu tun habe und ein Grundrecht des Menschen darstelle, dürfe anhaltende Arbeitslosigkeit breiter Bevölkerungsschichten nicht hingenommen werden, so der Bischof. Wanke glaubt, daß "unsere Bevölkerung viel mehr bereit ist zum Teilen von Besitz, Eigentum und Chancen als manche Politiker meinen". Es müßten jedoch "alle dazu in gleicher Weise beitragen und sich nicht am eigenen Opfer vorbeimogeln".
Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) äußerte die Hoffnung, es werde bald zur Paraffierung des zwischen dem Vatikan und dem Freistaat Thüringen ausgehandelten Staatskirchenvertrages kommen. Landtagspräsident Frank-Michael Pietzsch (CDU) und Erfurts Oberbürgermeister Manfred Ruge (CDU) ermunterten die Kirchen, sich vermittelnd an den heftigen Auseinandersetzungen um die Zukunft des Sozialstaates zu beteiligen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 01.12.1996