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Bistum Görlitz

"Ich bin überzeugt: unser kleines Gebiet geht heute einen guten Weg"

Interview mit Altbischof Bernhard Huhn

Der heutige Görlitzer Altbischof Bernhard Huhn ist zu einem Brückenbauer geworden. Sei es zu den Menschen seiner Diözese oder zu den Menschen, die in den heute polnischen Gebieten Schlesiens leben. Bernhard Huhn - im Sommer 75 geworden - feiert am 11. Dezember den 25. Jahrestag seiner Bischofsweihe. Aus diesem Anlaß führte der Tag des Herrn mit dem Altbischof von Görlitz ein Gespräch.

25 Jahre Bischof: Was hat Ihnen an diesem Dienst gefallen, was nicht?
Ein Bischof hat keine Pfarrei. Es fehlen ihm die täglichen Begegnungen mit den verschiedenen Gruppen von Menschen, mit Kindern, jungen Leuten, Eltern, Alten, Kranken. Er darf aber dabei kein Schreibtischmensch werden. Darum waren für mich die schönsten Stunden, wenn ich Menschen begegnet bin bei Firmungen, Gemeindebesuchen, Festen und Wallfahrten. Man muß die Menschen kennen, ihre Freuden und ihre Plagen, um nützlich helfen zu können. Freilich gibt es im Alltag des Bischofs auch schwere Stunden. Nur einige seien genannt: Er muß bei Konflikten in letzter Instanz entscheiden, er muß die richtigen Wege der Pastoral erkennen und sie geduldig beschreiten, er muß die Finanzen gerecht verteilen. Für alle Wünsche reicht es nie. Wenn ich einen Strich ziehe unter Freud und Leid der Bischofsjahre: Es überwiegen bei weitem die frohen Stunden. Niemals fühlte ich mich allein. Viele treue Helfer standen mir zur Seite, im Ordinariat, in den Gemeinden. Ihnen habe ich zu danken.
Nach dem Ende der DDR haben Sie sich als Bischof für die Erhebung des Görlitzer Gebietes zum Bistum engagiert. Warum?
1972 wurde der westlich der Oder-Neiße gelegene Teil der Erzdiözese Breslau Apostolische Administratur. Vor zwei Jahren wurde unser Gebiet - territorial zwar groß genug, aber klein an Zahl der Katholiken, Pfarreien und Priester - zur Diözese erhoben. Mit uns haben einige Hundert schlesische Priester und viele Gläubige aus dem ganzen Bundesgebiet, ja auch die jetzigen Nachbarn in Polen die Entwicklung unseres Gebietes aufmerksam verfolgt und die Erhebung zur Diözese begrüßt.
Birgt die geringe Zahl an katholischen Christen nicht auch Risiken in sich. War die damalige Entscheidung für ein Bistum Görlitz richtig?
Ein kleines Gebiet hat keineswegs nur Probleme, sondern auch Chancen. Es gibt eine erfreuliche Tuchfühlung unter Seelsorgern und Gemeinden. Man kennt sich nach Herkunft und Eigenart. Als Bischof mit 70 Priestern und 50 Gemeinden kenne ich nicht nur die Kirchen, Wege und Stege quer durch die Diözese, sondern würde auch in den meisten Pfarrhäusern den Kühlschrank finden, wenn ich in Not wäre. Und der geschädigte Mitbruder dort würde mir das nicht einmal übelnehmen. Kleine Verhältnisse schaffen Nähe und Vertrauen. Ich bin überzeugt, daß unser kleines Gebiet mit seinem ersten Diözesanbischof Rudolf Müller einen guten Weg geht.
Görlitz ist ein Grenzbistum. Wie gestaltet sich das Verhältnis zu Polen?
Fünf Grenzübergänge gibt es heute in der Diözese Görlitz zum Nachbarland Polen, in Forst, Guben, Muskau, Podrosche und Görlitz. Mauern trennen, die Brücken über die Neiße aber verbinden. Es ist die besondere Aufgabe unserer Diözese, Brücken der Verständigung zu bauen. Darum habe ich mich so wie mein Vorgänger Bischof Gerhard Schaffran gemüht. Das war nicht immer leicht. Schwere Hypotheken belasten das Verhältnis zwischen unseren Völkern: Die Hitler-Diktatur, die Vertreibung, Mißtrauen und Vorurteile auf beiden Seiten. Nun sind aber doch im Laufe der Jahre gute Beziehungen gewachsen, zwischen Bischöfen, Priestern, Gemeinden und Jugendgruppen. Wir versuchen, uns zu begegnen in Wahrhaftigkeit bezüglich der Geschichte, die hinter uns liegt, aber auch mit dem guten Willen der Zuneigung für jetzt und die Zukunft. Die gemeinsamen Fronleichnamsfeiern in Guben und Görlitz, und die große grenzüberschreitende Hedwigsfeier in Görlitz und Trebnitz waren erfreuliche Zeichen. Ein anderes Beispiel ist der Deutsch-Polnische Priesterkonvent, der sich rund viermal im Jahr abwechselnd in Görlitz oder Zgorzelec trifft.
Wie schätzen Sie die gesellschaftlichen Veränderungen ein, und wie kann sich Kirche heute einbringen?
Die Wende aus der DDR-Zeit in die freie Gesellschaft war ein Geschenk des gütigen Gottes. Zwar ist nach anfänglichen Hoffnungen eine spürbare Hinwendung der Menschen zu Gott bislang kaum zu verzeichnen, aber es zeigt sich doch bei manchen, auch jungen Leuten eine neue Suche nach dem Sinn des Lebens, auch wenn das nicht gleich öffentlich zu registrieren ist. Was kann die Kirche in diese Gesellschaft der Satten oder Suchenden einbringen? Vielleicht erreicht sie in der schlichten Verkündigung der Frohen Botschaft die Herzen vieler, die auf dem Weg zu Gott sind. Ein Erfolg läßt sich statistisch nicht berechnen. Die Zahlen sind eher rückläufig. Was wir brauchen, sind neben guten Pastoralprogrammen Zeugen und Bekenner, die unbeirrt den Glauben leben und in selbstlosem, diakonischem Dienst helfend der vielfältigen Not begegnen. Das heißt nicht: Rückzug in die Niesche, im Gegenteil: die freie gesellschaftliche Situation, in der wir heute leben, fordert geradezu heraus, daß sachkundige Christen sich als Zeugen des Glaubens in Wirtschaft und Politik einbringen. Viele tun es schon, Gott sei Dank.
Zurück zur Kirche. Welche Schwerpunkte muß die Seelsorge heute setzen?
Von allen Seelsorgeformen an Gruppen, Ständen und Berufen scheint mir am wichtigsten die Familienseelsorge. Die Familie ist der Mutterboden, der uns prägt. Damit unterschätze ich nicht, gerade heute, die Bedeutung der Jugendseelsorge, der Seelsorge an unseren Alten und Kranken. Ich freue mich über die neuen Möglichkeiten der Entfaltung, die heute für unsere Christen offen stehen: Beispielsweise in Verbänden, Akademikergruppen und vieles mehr. Schwerpunkt unseres Bemühens aber bleibt die Familie. Im Rückblick bin ich dankbar, daß es zur DDR-Zeit in vielen unserer Gemeinden Kolpingsfamilien gab, die als familienhafte Gemeinschaften lebten und wirkten.
Eines Ihrer Anliegen war die Förderung der geistlichen Berufe. Welche Akzente haben sie gesetzt?
Aus der Fülle des Möglichen nur ein Beispiel: Um meine Theologiestudenten, etwa 15 an der Zahl, kennenzulernen, habe ich sie alle Jahre nach dem Sommersemester für 3 Tage in unsere nördlichste Pfarrei, an brandenburgischen Seen gelegen, eingeladen. Dort gab es vieles, was das Urlauberherz begehrt: herrliche Gewässer, Wälder, einige Bungalows und eine schöne kleine Kapelle. Die Tage waren eine Mischung aus geistlichem Leben und munteren Ferien: heilige Messe am Morgen, am Vormittag Gespräche, Diskussionen, nachmittags jeder nach seinen Wünschen, am Abend eine Liederrunde, zum Abschluß die Komplet. Solche Tage, jährlich wiederholt, ließen mich meine zukünftigen Priester besser kennenlernen als durch gelegentliche Besuche im Erfurter Priesterseminar, die allerdings auch nötig waren. Dabei erinnere ich mich an meine eigene Jugendzeit in den dreißiger Jahren. Damals eroberten wir mit unserem Kaplan das schlesische Riesengebirge. Solche Erlebnisse können einen jungen Mann - vielleicht den Priester von morgen - prägen und begeistern.
Wie spürten Sie selbst, daß der Priesterberuf für Sie der richtige ist?
Als 19jähriger blieb mir 1940 nach Ableistung des Reichsarbeitsdienstes ein freies halbes Jahr, bevor mich die Einberufung zum Militärdienst erreichte. Diese Galgenfrist war eine Gnadenfrist! Ein Geschenk Gottes. Ich nutzte die Zeit für zwei Semester Theologiestudium in Breslau, lernte die Universität kennen, das Gemeinschaftsleben im Priesterseminar, frohe glückliche Stunden. Das festigte meinen Entschluß, Priester zu werden. Auch die darauf folgenden neun Jahre Soldatenzeit und Kriegsgefangenschaft konnten daran nichts ändern. Gott fügt alles gut, auch wenn wir es im Augenblick nicht verstehen.
Mit der Zeit liegen die aktiven Priesterjahre hinter Ihnen. Worin sehen sie Möglichkeiten und Chancen, die Sie als Altbischof haben?
Seit zwei Jahren darf ich im Ruhestand leben. Das ist gut so. Jüngere sollen die Verantwortung tragen. Die eigenen Kräfte lassen nach. Jeder von uns hat seine Zeit - er muß auch lernen, abzutreten. Abtreten aber heißt keineswegs, hinter dem Ofen hocken und dahinträumen. Ich hatte in den letzten zwei Jahren noch nie Langeweile. Aber - Gott sei es gedankt - es gibt keinen Streß mehr und nicht mehr die Diktatur des Terminkalenders. Was ich tue, kann in Ruhe geschehen: Vertretungen für die Mitbrüder in den umliegenden Pfarreien, Vorträge, Jubelfeiern und hin und wieder auch Vertretung des Bischofs, wenn er bei zwei Anlässen zugleich sein soll. Im Ruhestand kann ich endlich auch dies und das lesen, was früher an Zeitnot scheiterte. Auch die nachlassende Gesundheit fordert ihren Tribut. Ich wohne neben unserem katholischen St. Carolus-Krankenhaus und bin gut versorgt.
Viele Reisekilometer zurückzulegen war früher Pflicht des Bischofs. Jetzt könnte es sein Hobby sein. Aber - alter werdend - liebt man das eigene Bett und scheut große Strapazen. Somit bleibt viel Zeit für Begegnungen mit den Mitbrüdern, eine gemütliche Geburtstagsfeier, ein Doppelkopfabend und warum nicht auch mal einen Frühschoppen. Wenn zwei oder drei in Eintracht fröhlich beisammen sind, ist das nie verlorene Zeit. Es kann noch eine Weile so weitergehen im Ruhestand, wenn Gott will. Ich habe keine Gewissensbisse, faul zu sein.
Herr Bischof, wir danken ihnen für das Gespräch.

Interview: Holger Jakobi

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 49 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 08.12.1996

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