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Aus der Region

Den Teig mit Weihwasser angerührt

Sorbische Bräuche

Rund um den Tisch der Wohnstube der Alten Pfefferküchlerei versammeln sich die Besucher. Aus Brotteig entstehen kleine Vögel, Katzen, Hunde alle Neujährchen genannt. Irmgard Wenzel vom Museum erklärt den alten Brauch: Zum Jahreswechsel wurden in vielen Gegenden, so auch bei den Sorben die verschiedensten Tierformen gebacken und den Haustieren zum Fressen gegeben. Die Kuh erhielt eine gebackene Kuh, die Ziege eine Ziege... Damit verbunden war der Wunsch nach Gesundheit für die Tiere. "Und wenn heute jemand einen Hund hat, dann möchte er ja auch, daß er gesund bleibt. Oder ein Kätzchen, einen Hamster....", sagt Irmgard Wenzel.

So können die Besucher der Pfefferküchlerei ihre kleinen handgefertigten Backkünste mit nach Hause nehmen und wenn sie wollen an die eigenen Tiere verfüttern. Das freilich ist heute eher eine Geste der Nähe, des Verbundenseins. Im Volksbrauch aber, kam den Neujährchen - sorbisch: nove létka - eine wesentlich größere Rolle zu. Gesundes Vieh bedeutete eine gesicherte Existenz. So nahmen die katholischen Sorben zum Herstellen des Teiges vertrauensvoll Weihwasser und in der Rothenburger Gegend wurden - ganz praktisch und gesund - Kräuter beigemischt.

Für die Leute vom Weißenberger Museum ist die Wiederentdeckung des seit 1938 nicht mehr praktizierten Neujährchenbackens mehr als nur eine Attraktion in der Advents- und Weihnachtszeit. Der Brauch wird weitergegeben und die Besucher erhalten eine Anregung, es zum Jahreswechsel in froher Runde zu wiederholen. Irmgard Wenzel: "Für uns ist es der schönste Dank, wenn kurz vor Neujahr die Leute anrufen und fragen, wie war das doch mit dem Teig für die Neujährchen?" Sie betont, daß Neujährchen nicht nur ein "Geschenk" für die Tiere sind, sondern auch eine schöne Gabe für gute Freunde und Verwandte sein können, denen man ebenfalls alles Gute und Gesundheit für das nächste Jahr wünscht.

Die Wiederbelebung alter Bräuche gehört zu den Aufgaben der Alten Pfefferküchlerei. Gesammelt werden Backwaren aus aller Welt, sofern sie zu bekommen sind. Einen wichtigen Teil bilden dabei die Backtraditionen der Lausitz, aber auch die der tschechischen Nachbarn. So werden im mährischen Vizovice Figuren wie der Bischof Nikolaus von Myra gebacken, die im Mai 1997 im Museum zu bewundern sind. Dokumentiert werden auch die verschiedensten Entwicklungen beim Backwerk. Denn wer weiß schon, daß die Stollenform das Christkind symbolisiert.

Vorläufer waren handgeformte Wickelkinder, die als Symbol der Fruchtbarkeit eine besondere Gabe bei Taufen, Hochzeiten, Geburtstagen oder zu Weihnachten waren. Später wurden die Wickelkinder in Holzmodeln (Formen) hergestellt, beispielsweise als Pfefferkuchen. Ein Wickelkindpfefferkuchen - später Patenzopf genannt - war das Ostergeschenk für die Patenkinder. In Cunnewalde bei Löbau erhielt sich dieser Brauch bis 1950. Die regionale Besonderheit bestand darin, daß den Mädchen ein Pfefferkuchenmann überreicht wurde und den Jungen eine Pfefferkuchenfrau.

Das Absterben der Bräuche rund um das Backwerk ging mit dem Aussterben der Pfefferküchlerei in Weißenberg einher. Heute werden in dem kleinen Städtchen keine Pfefferkuchen gebacken. Was verkauft wird, stammt beispielsweise aus dem sächsischen Pulsnitz. Von dort kommen auch die typisch Weißenberger Bärenmützenträger. Irmgard Wenzel erklärt: "Seit dem Jahr 1800 zogen zum Schützenfest auch vier Bärenmützenträger aus. Die Verehrung dieser Ehrenschützen schlug sich in dem danach gestalteten Pfefferkuchen nieder, der als Ehrengeschenk Verwendung fand..

Weißenbergs Alte Pfefferküchlerei ist Europas einziges Museum, das in ursprünglicher Form Leben und Arbeit der Pfefferküchler aufzeigt. Über 300 Jahre wurde in diesem Gebäude gebacken und verkauft. Generationen von Menschen erblickten in der Pfefferküchlerei das Licht der Welt, lebten und starben hier. Ein Blick in die Geschichte: Das Haus ist eng mit der Weißenberger Familie Bräuer /Opitz verbunden, die seit 1674 als Besitzer nachweisbar ist.

Diese Tradition endete 1945 mit dem Tod des letzten Weißenberger Pfefferküchlers Paul Hermann Opitz, der bis 1937 wie seine Vorfahren im alten Haus am Weißenberger Markt gearbeitet hat. Irmgard Wenzel schreibt in ihrem Heft zur Pfefferküchlerei: "Die einstige Weißenberger Jugend erinnert sich noch gern des bescheidenen alten Herrn mit weißem Bart, der würdevoll bediente. Der Duft und Geschmack von buntbespritzten Pfefferkuchen, Pflastersteinen, Pfeffernüssen... ist in ihrer besten Erinnerung." Sein Haus vererbte Paul Hermann Opitz der Stadt Weißenberg. Bereits am 14. September 1941 wurde es in seinem Beisein als Museum eröffnet. An den Stifter erinnert eine Gedenkstätte auf dem Weißenberger Friedhof.

Zu den Besonderheiten der Ausstattung des Hauses gehört neben Schlaf- und Wohnzimmer beispielsweise ein altdeutscher Backofen. Er wurde aus Ziegeln erbaut und hat eine gewölbte Backröhre von über zwei Metern Tiefe, fast zwei Metern Breite, die Höhe beträgt 36 Zentimeter. Die Backröhre wurde direkt mit Holz beheizt, nach dem Aufheizen gelöscht und gereinigt und dann wurden die Pfefferkuchen mit der gespeicherten Wärme gebacken. Ganz anders als in der heutigen zumeist maschinellen Fertigung.

Dies und noch vieles mehr erfahren die Besucher in der Alten Pfefferküchlerei, die sich gerade in der Advents- und Weihnachtszeit großer Beliebtheit erfreut. Doch geöffnet ist das ganze Jahr: Dabei gilt es wiederzuentdecken, daß Pfefferkuchen in alter Zeit ein Gebäck für alle Monate waren, und auch heute noch im Frühjahr oder Sommer schmecken. Nicht zu vergessen: auch dann können die Besucher bei Voranmeldung sich selbst beim Backen versuchen. Irmgard Wenzel lädt dazu ein, die Bedeutung von Brot- und Backwaren neu zu erleben. Vielleicht eine Anregung für die Gestaltung der nächsten Religiösen Kinderwoche.

Holger Jakob.

Info: Alte Pfefferküchlerei, 02627 Weißenberg, Tel. 035876 / 4 04 29. Geöffnet ist dienstags bis freitags von 8 bis 12 und von 13 bis 16 Uhr, sonnabends und sonntags von 13 bis 17 Uhr. Jedes erste Wochenende im Monat, an Neujahr, Heiligabend, den Weihnachtsfeiertagen und Silvester ist geschlossen. Das Backen von Neujährchen ist bis zum 3. Januar möglich.

Literaturhinweis: Irmgard Wenzel, "Weißenberg - Museum Alte Pfefferküchlerei", Schnell & Steiner Verlag Regensburg.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 50 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.12.1996

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