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Bistum Erfurt

Kosovo-Albaner berichten

Bürgerkrieg gilt als wahrscheinlich

Erfurt - "Falls die Europäische Gemeinschaft die katastrophale Lage der Kosovo-Albaner weiterhin ignoriert, hat sie einen weit schlimmeren Krieg als in Bosnien zu erwarten." Mit diesen Worten wandte sich Professor Dr. Muje Rugova bei einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung in Erfurt, zu dem das Katholische Forum Thüringen, die Evangelische Stadtakademie Erfurt und der Ausländerbeauftragte des Freistaates Thüringen, Eckehard Peters, eingeladen hatten, an seine Zuhörer. Der Berater des im Exil lebenden Ministerpräsidenten der Republik Kosovo, die bislang von Deutschland nicht anerkannt wurde, hielt am 25. November einen Vortrag über die Situation in der restjugoslawischen Provinz Kosovo.

Über hundert Zuhörer hatten sich in der katholischen Bildungsstätte St. Martin versammelt, um sich über die Situation im Kosovo zu informieren. Allein 60 Asylsuchende aus dem Gebiet waren aus den thüringischen Asylbewerberheimen zu der Veranstaltung gekommen. Die Situation im Kosovo sei labil und ein Bürgerkrieg mehr als wahrscheinlich, prophezeite Rugova. Der Professor verdeutlichte dies mit Bildern des Grauens von Opfern und Leichen mißhandelter Kosovo-Albaner, die zeigten, mit welchen Repressalien die serbische Zentralmacht den Albanern das Leben zur Hölle mache. Es werde zur Zeit versucht, die Kosovo-Albaner zur Flucht ins Ausland und nach Albanien zu zwingen, so Rugova.

Matthias Graner, Balkanexperte der Ostakademie der katholischen Kirche in Königstein, zeigte mittels serbischer Verlautbarungen und Dokumente auf, daß es bereits seit Ende der 80er Jahre einen systematischen Plan der serbischen Führung gäbe, den albanischen Bevölkerungsanteil aus dem Kosovo zu vertreiben. Der Ausländerbeauftragte der Thüringer Landesregierung, Eckehard Peters mußte feststellen, daß die schrecklichen Vorgänge und Menschenrechtsverletzungen im Kosovo im Westen unbeachtet bleiben. Dies sei auch darauf zurückzuführen, daß die Kosovo-Albaner einen weitgehendst gewaltlosen Widerstand gegen den serbischen Terror leisteten. Im Gegensatz zu anderen ehemals jugoslawischen Provinzen hätten sie keinen Krieg in Kauf genommen, um ihre Unabhängigkeit zu erreichen, unterstrich Rugova. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb seien sie von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet und nun im Stich gelassen. Die Welt danke ihnen dies nicht! Der Professor forderte unter dem Applaus seiner Landsleute, daß endlich eine friedliche Lösung für die albanische Bevölkerung im Kosovo gefunden werden muß.

Die Berichte der anwesenden Kosovo-Albaner waren erschütternd. Sie verdeutlichten, wie brutal die serbische Polizei offenbar in den "Befragungen" - so werden die Folterverhöre offiziell genannt - gegen die Menschen vorgeht. Die meisten der anwesenden Kosovo-Albaner, darunter viele Jugendliche, waren in ihrer Heimat bereits inhaftiert und wurden gefoltert. Der Dank für das in Deutschland gewährte Asyl wurde deshalb in der Diskussion öfters formuliert. Ein älterer Mann, der ungenannt bleiben will, sagte: "Ich bin aus Kosovo und hier in Deutschland. Obwohl ich in der Fremde lebe, habe ich hier ds erste Mal in meinem Leben Freiheit gespürt. Ich bin den Deutschen sehr, sehr dankbar..

Den Kosovo-Albanern droht nun die Abschiebung in eine instabile Region, denn die Bundesrepublik Deutschland hat mit Belgrad ein Rückführungsabkommen geschlossen. In vielen Wortmeldungen machte sich bei den Betroffenen angesichts der drohenden Abschiebung offene Verzweifelung breit. Auch der Ausländerbeauftragte Eckehard Peters konnte bei vielen Fragen nicht weiterhelfen, da die Region Kosovo völkerrechtlich nicht als eigener Staat anerkannt ist. Er wolle jedoch für eine schrittweise Sensibilisierung der deutschen Öffentlichkeit und der Entscheidungsträger in Thüringen bezüglich der permanenten Menschenrechtsverletzungen im Kosovo sorgen, so Peters. Die Veranstaltung, die vom Ausländerbeauftragten und den beiden Kirchen getragen wurde, war dazu ein erster zaghafter Schritt.

Carsten Kießwetter

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 50 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.12.1996

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