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Aus der Region

Zeichen der Mitmenschlichkeit

Leser-Aktion

Der "Tag des Herrn" ruft seine Leserinnen und Leser in diesem Jahr auf, Geld für Wohnungslosen-Projekte zu spenden. Denn viele dieser Projekte sind gefährdet, weil sich die öffentliche Hand zunehmend aus der Finanzierung zurückzieht. Beispiel: Erfurt.

"Ich habe mir das anders vorgestellt mit unserem neuen Staat", sagt Ernst Eckardt. Der fast 43jährige Mann ist vor drei Wochen aus dem Gefängnis entlassen worden. Nun fürchtet er, obdachlos zu werden. Denn eine Arbeit habe er bisher nicht gefunden. Und 500 Mark Miete im Monat, die müßten erstmal bezahlt sein. Eckardt: "Ich bekomme bisher keinen Pfennig, keine Sozialhilfe, kein Bekleidungsgeld. Und das, obwohl ich schwerbeschädigt bin, Übergröße habe und die Klamotten ganz schön teuer sind..

Viele der rund 100 Männer und Frauen, die täglich den Erfurter Caritas-Tagestreff aufsuchen, haben wie Ernst Eckardt keine Arbeit und wenig oder kein Geld. In der Suppenküche und Wärmestube für Obdachlose und sozial Schwache bekommen sie kostenlos ein Frühstück. Eine warme Mittagsmahlzeit kostet 1,50 Mark, ein Abendbrot gibt es für eine Mark.

Es sind vor allem Männer, die den Tagestreff, der nur einen Steinwurf vom Theater der Thüringer Landeshauptstadt entfernt liegt, aufsuchen. Bisher war der Treff mit seinen drei Aufenthaltsräumen täglich von morgens 10.00 Uhr bis abends 18.00 Uhr geöffnet. Doch ab 1. Januar greifen auch hier Sparmaßnahmen: Der Tagestreff wird erst um 12.00 Uhr öffnen.

Viele der Klienten von Schwester Karola Maria Hikade und ihrem Team leben in schlechten Wohnverhältnissen, einige sind wohnungs- oder gar obdachlos. Die meisten sind dankbar dafür, gerade jetzt in der Winterjahreszeit einige Stunden des Tages im Warmen verbringen zu können. Manche besonders der Rentner kommen aber auch nur, um ihrer Einsamkeit zu entfliehen. Neben dem Angebot der Mahlzeiten besteht in der Einrichtung die Möglichkeit, sich zu duschen und die Wäsche zu waschen.

"Oft kommen wir über das Thema Geld mit den Leuten ins Gespräch", sagt die Leiterin. "Und dabei erzählen unsere Gäste dann oft auch von ihrer Lebenssituation." Häufige Probleme sind Arbeitslosigkeit, Mietschulden und Räumungsklagen, kaputte Familienverhältnisse und Partnerschaften, Straffälligkeit und nicht zuletzt der "Feind" Alkohol, der schon wenigstens fünf Klienten des Tagestreffs das Leben gekostet habe, wie die Franziskanerin erzählt. Zwar habe es auch zu DDR-Zeiten sozial Schwache gegeben, aber die Leute hätten "wenigstens ein Dach über dem Kopf und die nötigsten Lebensmittel gehabt", so die Leiterin.

Zu den "Stammkunden" des Caritas-Treffs rechnet sich Jürgen Buchholz. Der 48jährige besucht schon das dritte Jahr die Einrichtung. "Ich komme, weil's mir hier gefällt", sagt Buchholz freundlich. Seine Kumpel stimmen dem nickend zu. Im übrigen hätten ihm Schwester Karola Maria und Mitarbeiterin Christel Herzog schon bei Wohnungsproblemen geholfen, so Buchholz.

"Wir versuchen, unseren Klienten Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten", sagt die Leiterin. "Unsere pädagogische Maxime, die es den Klienten zu vermitteln gilt, lautet: Ich muß als Mensch für mich selber sorgen." Doch in der Praxis sei dies zum Wohl der Klienten dann manchmal gar nicht so durchhaltbar. Stattdessen müsse der einzelne nicht selten "an die Hand" genommen werden, damit er etwas für seine Gesundheit tut oder seine Rechte wahrnimmt.

"Unseren Leuten ist bewußt, daß sie zu den Schwachen gehören", sagt Schwester Karola Maria. "Wir machen oft die Erfahrung, daß sie Angst vor Ämtergängen haben." Etliche von ihnen kümmern sich wenig darum, ihre Arbeitslosenunterstützung zu bekommen, holen ihren Rentenbescheid nicht ein, nehmen Arzttermine nicht wahr. "Hier versuchen wir zu helfen: setzen Schreiben auf, telefonieren mit Sozial- oder Wohnungsamt, gehen mit den Leuten zu den Behörden..

Zum Tagestreff gehört auch eine Kleiderkammer. "Doch die Leute wollen oft nicht den gut erhaltenen Anzug, den jemand gespendet hat, sondern eine praktische Jacke oder Jeanshose", sagt Christel Herzog. "Davon haben wir aber zu wenig." Ebenfalls rar seien Herrenschuhe oder Decken. "Wenn wir Geld dafür hätten, könnten wir zum Beispiel ein paar Hosen oder auch Decken kaufen. Manche unserer Leute schlafen oft in Abrißhäusern und lassen ihre Schlafsachen teilweise über den Tag dort. Wenn ,ihr Haus' dann plötzlich zugemauert oder abgerissen worden ist, sind sie dankbar, wenn sie von uns eine Decke für die Nacht bekommen können..

Neben Schwester Karola Maria und Wirtschaftsfachkraft Christel Herzog sind Caritas-Suchtberater Gerhard Förster drei Tage und Diplom-Sozialpädagogin Gabriele Göldner zwei Tage in der Woche im Tagestreff. Förster, der zu drei Vierteln seines Einkommens von der Stadt Erfurt und vom Freistaat Thüringen bezahlt wird, bemüht sich im Rahmen eines sogenannten niederschwelligen Angebots, Suchtabhängigen, die in den Teff kommen, Hilfe anzubieten bis hin zur Vermittlung von Therapien. Frau Göldner war als Sozialpädagogin mehr als ein Jahr täglich im Tagestreff tätig. Seit Sommer sei dies aber aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich, so Schwester Karola Maria. Auch eine der bislang drei Zivi-Stellen soll in Folge von Sparmaßnahmen abgebaut werden.

Der Freistaat hat sich inzwischen aus der Finanzierung der Suppenküche, an der er im Rahmen eines zeitlich begrenzten Projekts in Verbindung mit der Suchtberatungsstelle Erfurt-Melchendorf beteiligt war, weitgehend zurückgezogen. Die Stadt stellte für den Tagestreff im Jahr 1996 nach Angaben der Diözesan-Caritas Erfurt von beantragten 166 000,- Mark nur 76 000,- Mark bereit. So seien nicht einmal 50 Prozent der Mittel bewilligt worden.

Der Ausgleich sei durch Einsparungen und durch die Caritas erfolgt, sei aber im Jahr 1997 nicht noch einmal möglich. Auswirkungen: Schwester Karola Maria und Christel Herzog werden ab 1. Januar nur noch für 30 statt bisher 40 Stunden bezahlt, weshalb der Tagestreff ab 1. Januar nur noch sechs Stunden öffnen wird. Dabei war die Caritas nach der Wende gedrängt worden, einen solchen Tagestreff einzurichten, was Anfang 1993 zur Eröffnung der Suppenküche in den Räumen einer ehemaligen Mütterberatungsstelle führte, so die Leiterin.

An einem Tisch des Tagestreffs spielten vier Männer gerade Karten. Mehrere Besucher lesen Zeitung. Ein älterer Mann trinkt mit seiner Freundin Orangensaft. Die beiden haben sich hier kennengelernt, wie er erzählt. Wie viele hier möchte auch er nicht mit Namen genannt werden. Ernst Eckardt hat sich inzwischen mit einer Schüssel Gemüsesuppe dazu gesetzt. Das Geld dafür hat er anschreiben lassen.

Eckhard Pohl

Das Geld fließt nicht in einen zentralen Spenden-Topf, die Spender sollen selbst entscheiden, welchem Projekt ihr Geld zugute kommen soll. Auf Wunsch teilen wir Ihnen die Bankverbindungen von folgenden Projekten mit:
Caritasverband des Bistums Dresden-Meißen, Obdachlosenarbeit
Oase Leipzig, Ökumenische Kontaktstube
Caritas-Tagestreff Erfurt
Caritas-Tagestreff Eisenach
Obdachloseneinrichtung Saalfeld
Tagestreff für Wohnungslose in Weißwasser
Obdachloseneinrichtung Senftenberg
Caritas-Suppenküche Magdeburg
Elisabeth-Tisch Halle, Elisabeth-Schwestern
Wämerstube Halberstadt, Franziskanerkloster

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 51 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 22.12.1996

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