Kaktus für Tschernobyl-Kinder
Kinder veranstalten Benefiz-Konzert
Böhlitz-Ehrenberg - Erwachsene "Fädenzieher", die hinter den Kulissen Anweisungen zuraunen, suchte man bei einem Kinder-Konzert kurz vor Weihnachten in Böhlitz-Ehrenberg vergebens. Obwohl das Durchschnittsalter der Band "Kaktus" bei gerade einmal zehn Jahren liegt, haben die Sänger und Instrumentalisten ein weihnachtliches Benefizkonzert für ein Osteuropa-Projekt der katholischen St.-Hedwig Gemeinde alleine auf die Beine gestellt: Sie verkauften Eintrittskarten, bauten die Technik auf und moderierten selbst. Sogar Sponsoren hatten sie gefunden, vom Getränkeladen an der Ecke bis zum Ortsbürgermeister. Lediglich als Gäste und als Helfer waren "die Großen" zugelassen.
Der 13jährige Martin Unger, der die Band "Kids an Keyborads, Trommeln und so weiter" (Kaktus) vor einem Jahr mit seinen drei jüngeren Geschwistern gründete, hatte sich schon früher einiges einfallen lassen, um den Einsatz seiner Gemeinde für Tschernobyl-Opfer zu unterstützen. Eine zeitlang verkaufte er zum Beispiel regelmäßig nach den Sonntagsmessen Lose für eine selbstorganisierte Lotterie.
Pfarrer Hans-Friedrich Fischer, der als Vorleser weihnachtlicher Erzählungen zum Programm beitrug, erläuterte, was mit dem Erlös von knapp 500 Mark geschehen soll: Vierzig strahlenbelastete Kinder aus Kiew sollen im Sommer gemeinsam mit ihren - zumeist alleinerziehenden - Müttern zum vierten Mal einen Erholungsmonat in einem litauischen Sanatorium verbringen.
Gemeinsam mit Pax Christi Leipzig habe sich die St.-Hedwig-Gemeinde zu dieser Form der Hilfeleistung entschieden, nachdem andere Organisationen negative Erfahrungen mit Ferienangeboten für Tschernobyl-Kinder in Deutschland gemacht hatten: Aufgrund der Sprachbarriere und gravierender Unterschiede im Lebensstandard und in der Medikamentenversorgung sei der Aufenthalt für die Kinder ein Schock gewesen, sagt Pfarrer Fischer. Zudem seien oftmals Kinder von Funktionären bevorzugt worden.
Durch die Zusammenarbeit mit einer Kiewer Selbsthilfeorganisation will die St.-Hedwig-Gemeinde dieses Risiko ausschalten. Bewußt habe man sich dafür entschieden, jedes Jahr die gleichen Kinder zu fördern. Der regelmäßige Aufenthalt in unbeschadeter Natur schlage sich bereits meßbar in stabileren Blutbildern nieder. Auf diese Weise könne Kindern auf lange Sicht geholfen werden. Die Gemeinde wirbt dafür, Dauerpatenschaften für einzelne Kinder zu übernehmen. Die einmonatige Kur kostet für jedes Kind fast 500 Mark.
Mit dem weihnachtlichen Kaktus-Auftritt haben die Böhlitzer Kinder einem Altersgenossen geholfen. Für die Band, zu der nicht nur die vier Unger-Geschwister, sondern mittlerweile auch die 10jährige Gloria Rupprecht und die 11jährige Isabelle Malon gehören, war das Weihnachtskonzert der erste öffentliche Auftritt. Im Repertoire haben sie übrigens, wie sie selbst betonen, "nicht nur Weihnachtslieder, sondern auch "fetzigere Sachen"
Dorothee Wanzek
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.01.1997