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Aus der Region

Ich habe die Rolle der Kirche immer verteidigt

Ehemaliger Dachau-Häftling:

Pfarrer Hermann Scheipers war zwischen 1940 und 1945 Häftling im KZ Dachau. heute lebt der Geistliche des Bistums Dresden-Meißen im Ruhestand im Münsterland. Der Tag des Herrn sprach mit ihm: Frage: Sie suchen heute - als Pfarrer im Ruhestand - häufig das Gespräch mit jungen Leuten über Ihre Erlebnisse in der Zeit des Nationalsozialismus. Welche Erfahrungen machen Sie dabei

Scheipers: Ich merke sehr häufig, daß die jungen Leute von heute -vor allem auch hier im Osten Deutschlands - keine Ahnung von dieser Zeit haben. Sie wissen wohl etwas von Konzentrationslagern und mancher war auch schon in Dachau oder Buchenwald, aber für viele ist das eine völlig fremde Welt. Ostdeutsche Jugendliche wissen meist, daß KZs etwas mit Kommunisten und Juden zu tun haben, aber daß auch Christen dort gewesen sind, ist für sie oft völlig neu

Manchmal höre ich, daß Jugendliche sich als Nazis bezeichnen, daß sie sich zum Nationalsozialismus bekennen und mit "Heil Hitler!" grüßen. Ich vermute, daß das eine Protesthaltung ist, und diese jungen Leute nicht wissen, was dahinter steht. Ein bißchen Angst macht mir das schon.

Frage: Was ist Ihnen beim Gespräch mit jungen Leuten wichtig

Scheipers: Zunächst die Information. Das zweite - und das ist der rote Faden bei meinen ganzen Berichten: Daß junge Leute erfahren, daß es zu dieser Zeit Menschen gegeben hat, die -auch in schwierigen Verhältnissen - für ihren Glauben einstanden

Frage: Einer dieser Zeugen war Karl Leisner, den der Papst kürzlich seliggesprochen hat. Sie haben ihn im KZ Dachau kennengelernt. Was ist für Sie das Vorbildhafte

Scheipers: Karl Leisner hat mit Leidenschaft die ihm anvertrauten jungen Menschen immun gemacht gegen das Gift das Nationalsozialismus. Dafür hat er alles in Kauf genommen - auch seine Verhaftung. Es stimmt nicht, daß er mehr oder weniger zufällig da reingerutscht ist. Das war eher bei mir der Fall. Ich war sicher so eingestellt, daß es früher oder später zur Verhaftung kommen mußte. Aber ich habe mich auch in Acht genommen vor den Mächtigen, wie man es in einer Diktatur tun muß. Karl Leisner ist schon als Jugendlicher von der Gestapo überwacht worden. Er war ein Kämpfer für das Reich Gottes. Und dieser kämpferische Geist hat mir imponiert

Frage: Sie haben zwei Diktaturen erlebt: Hitlerdeutschland und die DDR. Wie verhält man sich in einer Diktatur? Die Verhältnisse akzeptieren und Freiräume schaffen oder Widerstand um jeden Preis

Scheipers: Der Meißner Bischof Spülbeck hat einmal über die Rolle der katholischen Kirche in der DDR gesagt: Wir wohnen in einem Haus, das wir nicht gebaut haben und dessen Fundamente wir für falsch halten. Aber er ist nicht abgehauen. Er blieb da. Ich denke, es ist wichtig, die eigene Stellung klar zu vertreten und dann kommt es darauf an, wie man behandelt wird. In der DDR war doch die Grundsituation der Christen - ob evangelisch oder katholisch - dieselbe. Die evangelischen Christen hatten keine größeren Vorteile, weil ihre Kirche sich mehr dem Staat öffnete. Und die Katholiken haben wegen der Distanz ihrer Kirche gegenüber Staat und Gesellschaft keinen größeren Schaden genommen. Man kann natürlich von dem einen zuviel, von dem anderen zuwenig tun.

Frage: Haben die Bischöfe für die Priester im KZ Dachau zuviel oder zuwenig getan

Scheipers: Ich habe die Rolle der Kirche immer verteidigt. Die evangelischen Christen waren meist Einzelkämpfer - mit dem Rücken an der Wand, preisgegeben vom Großteil ihrer Kirche, der damaligen Reichskirche. Ich habe mich nicht von der Kirche im Stich gelassen gefühlt. Die Bischöfe haben dafür gesorgt, daß die Geistlichen aus allen KZs nach Dachau kamen, so konnten wir uns gegenseitig stützen. Zweitens bekamen wir die Kapelle, dann Breviere und wurden von der Arbeit befreit, was allerdings bald wieder abgeschafft wurde. Dann erhielten wir eine Kakao- und Weinspende der Bischöfe. Das hat uns zwar körperlich nicht viel geholfen, aber seelisch. Und die Bischöfe haben sich für unsere Freilassung eingesetzt. Noch im März 1945 kamen etwa 100 Priester frei. Die Bischöfe haben also etwas getan, aber es war nicht jeder ein Galen oder Preysing.

Frage: Könnten Sie sich heute wieder ein Hitlerdeutschland vorstellen

Scheipers: Das kann durchaus sein. Der Mensch bleibt immer Mensch und ist anfällig für das Böse. Natürlich gibt es geschichtliche Phasen, in denen es besser geht. Zum Beispiel die vergangenen 50 Jahre ohne Krieg in Deutschland. Aber im großen und ganzen ändert sich der Mensch nicht. Er lernt nichts aus der Geschichte. Auch heute ist die Masse verführbar, verführbar bis dorthinaus. Wenn man zum Beispiel von den Morden in Ruanda oder Ex-Jugoslawien hört. Gerade die Serben haben damals die Verbrechen der Nazis verurteilt. Jetzt haben sie dasselbe getan.

Frage: Bis heute wird über die Kollektivschuld der Deutschen diskutiert: War der Nationalsozialismus in Deutschland eine Verführung der Massen

Scheipers: Nazis waren nicht nur einige. Hitler hat eine große Masse von Helfershelfern gehabt, die gespürt haben: Jetzt können wir! Ich habe das ja persönlich erlebt: Ich bin durch eine Denunziation eines NSDAP-Ortsgruppenleiters ins KZ gekommen. Mit dem hatte ich nie etwas zu tun, dem habe ich nie etwas zu leide getan, der wollte einfach nur Karriere machen. Und von diesen Leuten gab es eine ganze Menge.

Frage: Kann der Mensch sich vor dieser Verführbarkeit schützen

Scheipers: Die erste Voraussetzung ist die Einhaltung der Menschenrechte. Beste Voraussetzung dafür ist eine Demokratie. Wichtig ist die Beschäftigung mit der Vergangenheit. Mit den Menschen, die stand hielten aber auch mit denjenigen, die mitmachten oder geschwiegen haben. Gut und Böse müssen einschätzbar sein. Ich denke, der Mensch braucht diese klare Trennung von Gut und Böse, so wie es etwa Karl May in seinen Romanen gemacht hat

Das Gespräch führten Holger Jakobi und Matthias Holluba.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 4 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.01.1997

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