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Bistum Görlitz

91jährige Görlitzerin ist Trägerin des Goldenen Caritaskreuzes

Vorgestellt

Sie hat die Bahnhofsmission in Horka mit aufgebaut und viele Jahre lang ihre gelähmte Schwester gepflegt. Im vergangenen Herbst verlieh ihr Caritasdirektor Rudolf Hupe das Goldene Caritaskreuz: Luzie Juraske ist 91 Jahre alt und lebt seit 1945 in Görlitz

In ihrem Heimatort Glogau hatte sie das Familienunternehmen geführt, ein sehr gut gehendes Lebensmittelgeschäft. Nach der Umsiedlung nach Görlitz, der Flucht zu Fuß ins Sudetengau und der Rückkehr nach Görlitz hörte sie in ihrer Pfarrkirche St. Jakobus einen Hilfeaufruf der Caritas-Nähstube. Obwohl sie für Näh- und Stopfarbeiten eigentlich nicht viel übrig hatte, meldete sie sich und besserte einige Monate lang unentgeltlich Kleidungsstücke aus

Auf Dauer konnte die Familie, zu der auch die alte Mutter gehörte, von der ehrenamtlichen Arbeit jedoch nicht überleben. Das Angebot der Caritas, in der Bahnhofsmission Horka zu arbeiten, kam Luzie Juraske deshalb sehr recht. Eine evangelische Fürsorgerin hatte kurz zuvor im Auftrag der Inneren Mission angefangen, von der winzigen ehemaligen Kantine der Bahn aus den Vertriebenen und Kriegsheimkehrern beizustehen. Da auch viele oberschlesische Katholiken den Bahnhof passierten, hatte sie in der katholischen Kirche um Verstärkung gebeten

Bis zur Schließung der Bahnhofsmissionen durch die DDR-Regierung im Jahr 1956 pendelte Luzie Juraske täglich von Görlitz nach Horka. Anfangs waren die Züge sehr voll und die Bahnverbindungen schlecht, erinnert sie sich. So kam es mehr als einmal vor, daß der für halb acht Uhr abends vorgesehene Abendzug erst morgens um drei Uhr fuhr

Die Zusammenarbeit mit der evangelischen Kollegin habe hervorragend geklappt, erzählt Frau Juraske. Die beiden Frauen boten den Reisenden heißen Pfefferminz- oder Zitronenmelissentee an, den sie selbst oftmals vorher bei der Dorfbevölkerung erbettelt hatten. Kriegsheimkehrer bekamen eine warme Suppe

Da es im wenige Kilometer entfernten Rothenburg eine große orthopädische Klinik gab, kamen häufig Patienten auf Krücken oder in Rollstühlen auf dem Bahnhof Horka an, die die Bahnhofsmissionsmitarbeiterinnen dann nach Rothenburg bringen mußten. Einmal hätten die Schaffner einen Jungen aufgegriffen, der ohne Fahrkarte von Görlitz nach Berlin fuhr, erzählt die Rentnerin. Ihre Aufgabe sei es dann gewesen, das Kind wieder zu seinen Eltern zurückzubringen

Viele Menschen, die damals den Horkaer Bahnhof passierten, seien auf der Suche nach ihren Angehörigen gewesen. In der freien Zeit besuchte Luzie Juraske katholische Familien in Horka. Sehr lebhaft kann sie sich an das abrupte Ende ihrer Arbeit bei der Bahnhofsmission im Jahr 1956 erinnern: Ihr waren bereits Gerüchte zu Ohren gekommen, daß die Mitarbeiter anderer Bahnhofsmissionen unter fadenscheinigen Gründen verhaftet worden waren. Eines Tages, nachdem der Abendzug nach Berlin den Bahnhof verlassen hatte, betraten zwei Polizisten den kleinen Raum der Bahnhofsmission und durchsuchten alles. Schließlich nahmen sie die evangelische Mitarbeiterin mit. Sie durchkämmten die Wohnung der 70jährigen, führten sie auf die Polizeiwache und ließen sie erst am Abend des folgenden Tages wieder frei. Kurz darauf wurde den Kirchen in der gesamten DDR verboten, weiter Bahnhofsmissionen zu betreiben

Luzie Juraske blieb bei der Caritas und übernahm bis zu ihrem Ruhestand 1965 vielfältige Aufgaben im Görlitzer Caritassekretariat. Mit viel Hingabe pflegte sie ihre Schwester, die von Kindheit an gelähmt war und die 1985 starb

Dorothee Wanzek

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 5 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 02.02.1997

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