Sich nicht selbst ins Licht setzen
Begegnung mit dem Maler Medardus Höbelt
Altenburg - "Wir müssen lernen, mit den Augen Gottes zu sehen", meint der Maler Dr. Medardus Höbelt, der seit vielen Jahren in Altenburg lebt. "Versuchen all das zu sehen, was Gott sieht: All die verzweifelten Menschen, die vielen weinenden Augen, die Kranken, Einsamen und dann wird gemordet und geschlagen, gesunde Menschen zu Krüppeln gemacht..." Aus dem Versuch dieser Sicht, so ist sich Medardus Höbelt sicher, können Einsichten zur persönlichen Umkehr wachsen. Und wann immer Menschen ihn um Rat fragen, wie denn die Welt gerechter und besser werden kann, so sagt er: "Es gelingt nur mit Barmherzigkeit und Menschenliebe." Fazit eines langen glücklichen Lebens, das einen Bogen über die Schwere des 20. Jahrhunderts spannt
Geboren wurde Medardus Höbelt am 2. Juli 1914 in Weißkirchlitz bei Teplitz-Schönau in Nordböhmen. Damals noch im Königreich Böhmen, einem Teil der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Doch die Idylle war brüchig, wenige Tage vor seiner Geburt starb das österreichische Thronfolgerpaar bei einem Attentat und wieder nur wenige Tage später begann der Erste Weltkrieg. Die Folgen: Zerfall der Monarchie, Gründung der Tschechoslowakei und anderer Nationalstaaten, Hitlerzeit, Zweiter Weltkrieg und schließlich die Vertreibung von Millionen, die auch die Familie des Malers Medardus zerriß
Damals ging all das verloren, was das Werden des jungen Künstlers begleitete: Seine Tagebücher, erste Kompositionen, Stücke, die er als Junge schrieb. Medardus Höbelt: "Ich erinnere mich, wie ich einmal eine Begebenheit, die ich selbst erlebte in ein Theaterstück verarbeitete, aus einem trinkenden Nachbarn wurde ein Dichter, der sich und seine Familie ins Unglück stürzt." Damals war er 16 Jahre alt. Zu dieser Zeit lernte er Dantes "Göttliche Komödie" kennen, eine Begegnung, die lebensentscheidend war. Medardus Höbelt: "Es waren drei große Prachtbände, die ich in unserer Pfarrbibliothek fand, Dantes Werk hat mich nie losgelassen. Von ihm habe ich Weisheit und Güte gelernt..." Ja er hat die Göttliche Komödie sogar abgeschrieben, italienisch und deutsch. Und kaum ein Jahr verging, in dem er nicht alle drei Teile von neuem las. So wundert es nicht, daß ein wichtiger Teil seiner derzeitigen Ausstellung in der Altenburger Schloßkirche (geöffnet bis 30. März) dem Dichter Dante gewidmet ist. Gleich neben dem Altar stehen die Dante-Worte: "Die Liebe ist es, die das All bewegt." Worte, die ihn bis heute leiten
Medardus Höbelt ist Künstler von ganzem Wesen. Er erinnert sich, daß er schon als Kleinkind mit den Löffeln geigte und kein Blatt Papier vor seinem Gestaltungsdrang sicher war. "Schon als kleiner Junge wollte ich Maler werden." Doch leider hatte seine Mutter dafür kein Verständnis, "sie hat mich nicht erkannt". Von einer künstlerischen Laufbahn riet die Mutter ab. Doch Medardus erhielt Unterstützung von seiner Verlobten und späteren Frau. "Sie hat an mich geglaubt", sagt er. Von 1932 bis 1938 studierte Medardus Höbelt Musik, seit 1936 besuchte er zusätzlich die keramische Fachschule Teplitz-Schönau. Dann kamen die verlorenen Jahre seiner Generation: 1938 zog man den jungen Medardus zum Wehrdienst ein, er sollte Flieger werden. Zum Glück wurde er es nicht: "Alle, die mit mir eingezogen wurden, kamen im Krieg um." Doch auch ihn, den es an alle Fronten verschlagen hatte, hätte es kurz vor Ende noch treffen können. Wie durch ein Wunder überlebte Medardus Höbelt eine Verschüttung. Nach dem Krieg kam er in Gefangenschaft der Westmächte und wurde entlassen mit drei englischen Zigaretten, Brot, etwas Butter, einem Klecks Marmelade und 10 Mark. "Damit sollte man ein neues Leben anfangen." Zuerst ging er nach Wolfenbüttel, wo er Arbeit und den Kontakt zu einer musisch-gebildeten Familie fand. Von seiner eigenen fehlte zunächst jede Spur. Erst 1948 sah er seine Frau wieder, die er 1940 während eines Urlaubs geheiratet hatte. Zu dieser Zeit wurde Medardus Höbelt Schüler bei Prof. Bruno Seener in Dresden. 1952 begann seine freiberufliche Tätigkeit als Maler und Grafiker
Nach einem Auftrag im Stahlwerk Gröditz, wo er eine 30 Quadratmeter-Glasfläche gestaltete, arbeitete er nur noch für den kirchlichen Raum. Die Kaltschnäuzigkeit und Gleichgültigkeit der Gröditzer Auftraggeber stieß in ab. Seither steht Medardus Höbelts Schaffen unter dem Begriff "Sakrale Kunst." Für ihn ist sie Ausdruck seines Lebens geworden. In zahlreichen Kirchen sind seine Werke heute zu finden: Glasfenster, Kreuzwege, Altarraum-Gestaltungen. Als Beispiele seien nur Flöha, Markranstädt, Rositz und nicht zu vergessen seine Altenburger Kirche genannt. Medardus Höbelts besonderes Markenzeichen ist die Arbeit mit Betonglas. Auf die Frage nach den Wesenszügen eines sakralen Künstlers meint Medardus Höbelt: "Es kann nur einer schaffen der demütig ist, der sich nicht ins Licht spielt und der auch bereit ist, mit einem kleinen Honorar zufrieden zu sein." Für die Familie Höbelt bedeutete dies ein Leben jenseits des materiellen Reichtums. Einmal hatte er in zwei Jahren nur 900 Mark für seine Arbeit erhalten
Geld war es nie, wonach Medardus Höbelt suchte. "Ich bin froh und dankbar, daß ich frei von diesem Streben bin, was bleibt denn vom Geld?" Neulich kam Post: Ein Lottounternehmer verhieß ihm einen Millionengewinn ohne Einsatz. Angebote, die für den heute 82jährigen kein Thema sind
"Wenn ich mich auf all dies einlassen würde, dann käme ich zu gar keiner richtigen Arbeit mehr, würde meine ganze Energie darauf verwenden." Viel lieber hält er sich in seinem Atelier unter dem Dach oder im Musikzimmer auf. Flügel, Harmonium und Geige sind es auch, die ihm immer dann helfen, wenn er etwas Bedrückendes erlebt hat
Medardus Höbelt ist ein Mensch, der anderen raten kann und will. Eine Begegnung mit ihm gibt Zuversicht. "Ich glaube, es ist eines der größten Übel, daß niemand mehr für den anderen Zeit hat", meint er. Bis heute beobachtet er kritisch, was sich in der Welt tut. Neue sterile Bauten wirken auf ihn seelenlos, geben den Menschen keine Heimat. Familien gehen kaputt. Für ihn steht aus eigener Erfahrung fest, daß eine Ehe nur dann bestehen kann, wenn jeder der beiden ein gläubiges Herz hat. Probleme des anderen erkennen, sie gemeinsam durchtragen, das ist für Medardus Höbelt ein gangbarer Weg. Und die Menschen sollten wieder lernen, ihre Augen nach "Oben" zu heben, die Schöpfung in all ihrer Schönheit begreifen, mahnt er. "Viele sehen heute keine Sterne mehr, nur noch die Lampen der Städte." Wie aber kann ein Mensch heute froh werden. Der Maler Medardus rät: "Wenn sie immer in der Nähe Gottes leben, wenn sie das spüren, dann werden sie ein froher Mensch sein." Gottes Nähe führt immer zu rechten Gedanken hin. Es kommt auf das Vertrauen zu Gott an: "Alles ist Gnade, jeder Tag, an dem man die Augen öffnet, ist ein Gnadentag..."
Holger Jakobi
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.02.1997