Meßfeier am einstigen kommunistischen Präsidiumstisch
Neues aus St. Petersburg
St. Petersburg - Hartmut Kania, Pfarrer des Bistums Görlitz, der seit einigen Jahren in St. Petersburg tätig ist, berichtet über die neuesten Entwicklungen in seiner Gemeinde
"Jeden Donnerstag sind die Türen zum Gottesdienst geöffnet. Regelmäßig kommen junge Leute, Russen und Afrikaner, die hier studieren. Aber es kommen auch alte Leute, um zu sehen, was aus der Kirche wird, in der sie oder ihre Angehörigen getauft wurden und von der die meisten Stadtbewohner nicht mehr wußten, daß dieses rote Steingebäude ursprünglich eine Kirche war. An jedem Samstag kommen Menschen zum Gottesdienst in deutscher Sprache und seit dem Beginn dieses Jahres zum russischen Sonntagsgottesdienst um 11.30 Uhr
Die äußeren Bedingungen sind sehr bescheiden. Wir können diese Kirche, die uns nun schon zum Teil gehört, nur durch den Hintereingang betreten. Von dem ehemaligen großen dreischiffigen neugotischen Gottesdienstraum ist durch die baulichen Veränderungen nach der Enteignung nur noch wenig übrig geblieben. Zum Gottesdienst müssen wir bis in die vierte Etage steigen. Dort, in dem Raum unter dem spitzbögigen Kreuzgewölbe, und damit dem Himmel etwas näher, feiern wir unsere Gottesdienste. Mindestens für ältere Leute ist der Weg dorthin nicht leicht. Als Altar dient uns der Präsidiumstisch aus dem ehemaligen roten Versammlungssaal, als Ambo das einstige Rednerpult. Der ganze Raum schreit nach einer wenigstens kosmetischen Erneuerung. Doch noch steht die Statikprüfung des Holzfußbodens aus. Wir wissen nicht, wieviele Besucher er erträgt. Aber diese kommen schon, aus diesem und aus weiteren Stadtbezirken
Von der nächsten Metrostation aus läuft man weniger als zehn Minuten. So konnten wir in dieser Kirche zum ersten Mal nach sechzig Jahren wieder Weihnachten feiern und einen Taufgottesdienst halten. Sankt Petersburg hatte bis zur Revolution zwölf katholische Pfarrgemeinden. Nachdem es viele Jahrzehnte nur noch eine einzige gab, ist die Herz-Jesu-Gemeinde jetzt die fünfte im Entstehen
Die durch den barbarischen und gewaltsamen Kirch-Umbau nach dem Krieg eingezogenen vier Etagen, von denen uns bisher allerdings nur eineinhalb gehören, erweisen sich inzwischen als sehr nützlich für den Aufbau und die Sammlung der Gemeinde. In der ganzen unteren Etage mit einer Fläche von fast 1000 Quadratmetern besitzen wir elf Räume in sehr unterschiedlicher baulicher Qualität
Jetzt schon bleiben viele nach den Gottesdiensten in der unteren Etage, um zu sprechen und Tee zu trinken. Sämtliche Einrichtung ist allerdings sehr einfach und primitiv. Auf jedem deutschen Sperrmüll-Haufen würde man bessere Stühle und Sessel finden als wir sie hier haben. Die langen Tischreihen, an denen wir sitzen, bestehen aus ausgedienten Schreibtischen
Wir sind nicht untätig geblieben, seit wir vom Sommer des vergangenen Jahres diese Kirche wieder nutzen können. So konnten wir baulich einiges verändern. Ein bescheidenes Holzkreuz an der Stelle, wo einst Türme geplant waren, weist auf den, für den diese Kirche gebaut wurde. Durch eine Finanzhilfe aus der Sächsischen Landesregierung Dresden konnten wir den Anfang einer Sozialstation schaffen
Für die Medikamente, die uns als humanitäre Hilfe geschenkt werden, haben wir einen der Räume als Malteser-Apotheke eingerichtet und einen weiteren für einfache ärztliche Sprechstunden. Zusätzlich haben wir seit dem Beginn dieses Jahres an vier Tagen unsere Tür für soziale Beratung und Hilfe geöffnet
Die Anmeldungen dazu reichen in den nächsten Monat. Doch zunächst ähnelt die ganze untere Etage noch einer großen Baustelle. Durch die Finanzierung von "Renovabis" bauen wir zur Zeit menschenwürdige Toiletten und einen eigenen Küchenraum. Bis Ende Februar soll dies fertiggestellt sein
Nach Abschluß dieser ersten Bauetappe haben wir Voraussetzungen für Begegnung und Versammlung, für gegenseitige Hilfe und für Gotteslob. Freilich warten noch viele der elf Räume auf eine wenigstens kosmetische Renovierung und die notwendige Einrichtung. Die nächsten Bau-Etappen werden weit langwieriger, teurer und komplizierter
Die Wiederherstellung eines würdigen Gottesdienstraumes war das, was das russische Denkmalamt von uns fordert, die Wiederherstellung des Daches und der Außenfassaden
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.02.1997