Vorurteile in der Kirche haben abgenommen
25 Jahre Engagement für Alleinerziehende
Görlitz (dw) - In der Kirche sei es in den vergangenen Jahren für Alleinerziehende ein bißchen leichter geworden, in der Gesellschaft hätten sie es jedoch eher schwerer, sagt Caritasberaterin Barbara Hupe, die seit 1972 in Görlitz Gruppen mit Alleinerziehenden leitet
Nachdem die Diplom-Sozialarbeiterin damals ihre Abschlußhausarbeit über Alleinerziehende geschrieben hatte, lag es nahe, sich ihnen auch während des Anerkennungsjahres bei der Caritas zu widmen, erzählt sie. Den jungen Frauen, die sich in der ersten Gruppe zusammenfanden, tat es gut, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und sich gegenseitig zu stützen
Das gilt auch für die vier weiteren Gruppen, die sich seither - eine nach der anderen - zusammengefunden haben und wieder auflösten, sobald die Kinder größer wurden und einzelne Frauen neue Lebenspartner fanden
Bis zur Wende konnte Barbara Hupe nur Christen einladen, seither sind die monatlichen Treffen bei einer Tasse Kaffe in der Görlitzer Caritas-Beratungsstelle offen für alle alleinerziehenden Frauen und Männer (letztere sind bislang allerdings noch nie gekommen). Obwohl Tageszeitungen und ein kommunales Frauenzentrum für die Gruppe werben, wird der überwiegende Teil der Frauen auf das Angebot bei einem Beratungsgespräch in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung oder der Schwangerenberatung der Caritas aufmerksam
Derzeit kommen in der Regel sechs bis sieben Frauen zwischen 19 und 27 Jahren mit ihren Kindern zu den Treffen, um über unterschiedlichste Themen zu sprechen, die sie beschäftigen: "Grenzerfahrungen" oder "der Abnabelungsprozeß von den eigenen Eltern" sind nur zwei Beispiele aus der Themenliste, die sie sich kürzlich selbst für die nächste Zeit zusammengestellt haben
Immer wieder geht es auch um Probleme, die es vor sieben Jahren noch nicht gab: In der DDR seien die Frauen durch unkündbare Arbeitsstellen und Wohnungen abgesicherter gewesen und hätten daraus auch Selbstbewußtsein geschöpft, weiß Barbara Hupe. Zur Arbeitslosigkeit und der Sorge um die Wohnung komme jetzt auch die Sorge um Unterhaltszahlungen für die Kinder. Unterhaltsvorschuß werde nur während der ersten sechs Lebensjahre eines Kindes gezahlt, erst danach würden Kinder aber richtig teuer. Für die Caritas-Mitarbeiterin kamen all diese neuen Probleme nicht überraschend, weil sie schon zu DDR-Zeiten in Kontakt mit westdeutschen Alleinerziehendenverbänden stand
In vielen Fragen könnten sich die Frauen gegenseitig Ratschläge geben. Gerade wenn es um die Suche nach einem neuen Partner gehe, seien die jungen Frauen sehr offen zueinander. Männern gegenüber fühlten sie sich häufig ein bißchen als "Freiwild"
In der Gruppe fänden sie bei anderen Frauen Halt und Verständnis. Trotz des freundschaftlichen Miteinanders hat sich eine langgehegte Hoffnung Barbara Hupes noch nicht erfüllt. Sie wünscht sich, daß die Frauen die Verantwortung eines Tages in eigene Hände nehmen und eine Selbsthilfegruppe gründen
Neben der regelmäßigen Nachmittagsrunde leitet die Sozialarbeiterin jeden Sommer in Jauernick Freizeiten für Alleinerziehende und ihre Kinder aus dem gesamten Bistum Görlitz. Caritas und Katholischer Familienbund vermitteln für diese Freizeiten Zuschüsse des Sozialministeriums
Das Verständnis für Frauen, die ihre Kinder alleine erziehen, sei im kirchlichen Raum erheblich gewachsen, hat Barbara Hupe beobachtet. Vor einigen Jahren stieß sie noch auf erheblichen Vorurteile, wenn sie über ihr Engagement berichtete; ein Pfarrer beispielsweise habe die Alleinerziehenden pauschal als "alleinstehende Frauen mit schwererziehbaren Kindern" bezeichnet. Heute würden Alleinerziehende in wachsendem Maße als Familienform akzeptiert
Auch in den Familienkreisen der Gemeinde würden sie besser integriert. Nach einer Scheidung habe sich eine Frau früher meist sehr rasch aus ihrem Familienkreis verabschiedet. Mittlerweile kenne sie Frauen, die sich auch nach der Trennung von ihrem Mann auf Dauer in ihrem Familienkreis wohlfühlten.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.02.1997