Aufbruch mit Gestik und Tanz

Huysburg / Magdeburg (ep) - Das hatte es in den 50 Jahren der Huysburgwallfahrt noch nicht gegeben: Moderne Musik voller Dynamik und Ausdruck. Sechs Tänzerinnen in dunklen Sommerkleidern, zwei Tänzer in T-Shirt und Jeans, die professionelles szenisches Ballett zeigen. Dazwischen Texte frei nach Psalm 18: Über Sattheit, Mauern, Ängste und Grenzen, über Hoffnung und Liebe und die Sehnsucht nach Weite und Erfüllung - drei Texte über Gott und den Menschen. Am Ende teilen die jungen Tänzerinnen Blumensamen an die Umstehenden aus - Symbol der Vielfalt, Schöpferkraft, Weite und Buntheit der Welt. Diese Szenerie erlebten am 2. September die rund 5000 Teilnehmer der diesjährigen Bistumswallfahrt. Hatte sonst in der Abschlussstunde ein Anspiel das Wallfahrtsthema noch einmal aufgegriffen, sollte das Motto "Du führst mich hinaus ins Weite" diesmal auch auf diese ungewohnte und anspruchsvolle Weise in Erinnerung bleiben.
Wochen zuvor hatte der Magdeburger Diakon Wolfgang Gerlich auf der Seebühne im Magdeburger Elbauenpark eine Aufführung der Carmina Burana mit dem Ballett des Theaters der Landeshauptstadt erlebt. Mit der Vorbereitung der Bistumswallfahrt befasst, kam ihm dabei die Idee: Wie wäre es, in der Abschlussstunde das Wallfahrtsthema "Du führst mich hinaus ins Weite" mit Hilfe von "Tanz, Körpersprache, Musik und aussagestarken Texten" nahe zu bringen? In Verbindung mit einer Aktion, die alle Teilnehmer einbezieht?
Ballettdirektorin Irene Schneider, unter deren Leitung Tänzerinnen und Tänzer die Carmina Burana - die Lieder vom Auf und Ab des Lebens, von Liebe und Leidenschaft, von Frühling und Vergehen - aufführen, ließ sich ohne viel Zögern darauf ein. "Ich habe in Mönchengladbach, wo ich vorher tätig war, öfter in Kirchen gearbeitet", sagt die Chefchoreographin des Theaters der Landeshauptstadt. "Die tänzerisch-pantomimische Umsetzung religiös-philosophischer Themen" sei zwar eine Herausforderung, aber nichts Ungewöhnliches für ein Ballett. "Ungewohnt ist das Mitwirken im Rahmen eines Gottesdienstes, was etwas anderes ist als eine Aufführung im Theater", so Frau Schneider. Ein wenig Bedenken hatte und hat die Choreographin in anderer Hinsicht: "Tanz lebt von der Körpersprache. Wer noch nie mit Ballett in Berührung gekommen ist, dazu keinen Zugang hat, wird nicht verstehen, was wir ausdrücken."

Bewusst wählte die Ballettdirektorin eine internationale Besetzung für die Tänzergruppe auf der Wallfahrt aus, um auch auf diese Weise dem Thema "Weite" gerecht zu werden: Eine Ukrainerin, eine Russin, einen US-Amerikaner und einen Spanier, und vier Deutsche. Zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer des Theaters, dazu vier Schülerinnen der Theaterballettschule Magdeburg, unter ihnen Schülerinnen des Norbertusgymnasiums. Probleme, sich auf die religiöse Dimension der Texte, die von Diakon Gerlich kamen, einzulassen, habe es nicht gegeben, zumal Künstler dafür ohnehin aufgeschlossen seien. "Wir haben uns die Gedichte angeschaut und sie gestaltet", sagt die Choreographin. Aus den Musikvorschlägen entschied sie sich für "moderne, populäre Musik, um junge Leute anzusprechen".

Mit großem Einsatz widmeten sich die Tänzerinnen und Tänzer dann auf der Huysburg dem Gottesdienstthema. Da wurde gegen scheinbar unüberwindbare Mauern angerannt, die schließlich doch den Weg freigaben. Da wurde Ausschau gehalten nach dem "weiten Land des Lebens". Da gab es hingebungsvolle Begegnung und gemeinsamen Aufbruch in eine unbekannte Zukunft. Ein Stück überwältigt seien die Tänzer gewesen, als sie sich der großen Zahl der Wallfahrer gegenübersahen, die ihnen zuschauten, sagt Frau Schneider. Am Ende steht das Interesse, einmal wieder bei einem Gottesdienst mitzuwirken.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 37 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 13.09.2001