Aufklärung nötig
Ministerin Nolte zu Scientology
Frage: Sie haben sich für eine stärkere staatliche Kontrolle von Scientology ausgesprochen. Warum ist Scientology gefährlich? Und wieweit sollte der Schutz der Bürger vor Scientology und ähnlichen Gruppen gehen? Halten Sie ein Verbot für sinnvoll?
Nolte: Der Staat hat seinen Bürgern gegenüber eine Fürsorgepflicht, die auch Information, Aufklärung und Warnung vor Sekten und Psychogruppen beinhaltet. Dazu gehören zahlreiche Gruppierungen, zum Beispiel auch die Scientology-Organisation.
Die Scientology-Organisa-tion ist weder eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft noch eine Kirche";, sondern verfolgt ausschließlich wirtschaftliche Interessen. Sie versucht mit äußerst bedenklichen Praktiken, unsere Gesellschaft zu unterwandern, Menschen von sich abhängig zu machen und zu beherrschen. Scientology ist eine der aggressivsten Gruppierungen in unserer Gesellschaft. Sie hat ein höchst bedenkliches Demokratieverständnis und ein menschenverachtendes Gesellschaftsbild. Deshalb kann es nicht hingenommen werden, daß eine solche Organisation bei uns Fuß faßt. Um eine Vereinigung aber verbieten zu können, bedarf es gesicherter Erkenntnisse über ihre verfassungsfeindlichen Ziele. Zur Zeit prüft die Innenministerkonferenz in einer Arbeitsgruppe, ob die Indizien ausreichen, Scientology bundesweit durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Wenn diese Prüfung abgeschlossen ist, müssen wir weitersehen
Frage: Die Scientology-Debatte in Deutschland hat in den USA heftige Diskussionen ausgelöst, die bis zum Vergleich mit der Judenverfolgung im Dritten Reich führen. Wo ist die Grenze zwischen Beobachtung und Diskriminierung?
Nolte: Die Scientology-Organisation wird in Deutschland nicht diskriminiert. Dieses sind Behauptungen, die von der Gruppierung immer wieder als gezielte Kampagne gestreut werden. Die US-Regierung hat in ihrem jüngsten Menschenrechtsbericht - entgegen der Behauptungen von Scientology - bestätigt, daß die Menschenrechte gegenüber Scientologen in der Bundesrepublik gewährleistet werden
Frage: Der Markt der Weltanschauungsgruppen ist unübersichtlich. Brauchen wir einen Sekten-TÜV?
Nolte: Ich bin der Meinung, daß die vorhandenen rechtsstaatlichen Mittel ausreichen, um unsere Gesellschaft vor den Auswüchsen von Sekten und Psychogruppen zu schützen. Wir haben vor allem die Pflicht, Informationsarbeit und Aufklärung zu betreiben, gegebenenfalls auch zu warnen. Wir können jedoch die Menschen nicht bevormunden und ihnen die Entscheidung für oder gegen eine Gruppierung abnehmen. Es sei denn, diese stellt sich als verfassungsfeindlich heraus und wird verboten
Frage: Der Staat allein kann das Problem nicht lösen. Was können gesellschaftliche Gruppen, besonders die Kirchen, und Einzelpersonen darüber hinaus noch tun?
Nolte: Im Interesse derer, die unter dieser Gruppierung leiden und im Interesse unserer freiheitlichen Gesellschaft müssen wir durch Aufklärung und andere rechtsstaatliche Mittel die Scientology-Organisation entlarven und ihr den selbstverliehenen Heiligenschein herunterreißen. Dabei sind alle gesellschaftlichen Gruppen aufgerufen, sich zu engagieren. Unser Ziel aufzuklären und zu warnen, wird unter anderem auch von den Beauftragten der Kirchen für Sekten-und Weltanschauungsfragen unterstützt. Staat und Gesellschaft sind gleichermaßen gefordert, zusammenzuarbeiten und einen wirksamen Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor den gefährlichen Einflüssen aus dem Bereich der Sekten und Psychogruppen zu gewährleisten.
Fragen: Matthias Holluba
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 02.03.1997