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Bistum Dresden-Meißen

Willen zur Vernichtung?

Vortrag über Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker"

Dresden - Wissen und wissen wollen ist eine ethische Frage";, lautete eine These des Präsidenten des Internationalen Rates der Christen und Juden, Professor Martin Stöhr aus Siegen. In seinem Vortrag, zu dem die Gesellschaft für Christlich# Jüdische Zusammenarbeit in die Dresdner Dreikönigskirche eingeladen hatte, sprach er über das Buch von Daniel Goldhagen Hitlers willige Vollstrecker";. Das Werk erregte nach seinem Erscheinen im Jahr 1996 großes Aufsehen. Der Autor wertet darin Dokumente und Forschungsergebnisse über ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte aus.

Er kommt zu dem Schluß, daß die Vernichtung von sechs Millionen Juden nicht nur zu Lasten einer überschaubaren Zahl fanatischer Verbrecher geht, sondern hunderttausende normale"; Deutsche daran beteiligt gewesen wären. Dem Autor ging es um die Frage, warum Menschen so grausam sein konnten und die Bereitschaft zur Vernichtung der Juden offensichtlich vorhanden war. Die Antwort fand Goldhagen in einem eliminatorischen Antisemitismus"; .

Die Vorstellungen der Täter, daß die Juden nichts anderes als ihre Vernichtung verdient hätten, wären unter anderem ausschlaggebend gewesen. An Einzelstudien belegt Goldhagen, daß sehr viele einzelne das erschreckende Geschehen nicht stoppen wollten. Nach seinen Ausführungen waren es dieselben normalen"; Männer, denen bei Hinrichtungen in polnischen Dörfern die Tränen kommen, die jedoch keine Hemmungen hatten, Juden zu erschießen.

Soziales und körperliches Töten läßt sich nicht verheimlichen";, hieß eine weitere These von Stöhr, mit welcher er das Anliegen des Autoren unterstützte. Goldhagen habe nachgewiesen, daß es einen deutschen Sonderweg in der Judenvernichtung gegeben und der Antisemitismus eine lange Geschichte habe. Wie Stöhr sagte, wies der Autor glaubhaft nach, daß sehr viele Deutsche den Willen zur Vernichtung der Juden hatten.

In einem Punkt jedoch, so der Referent, gäbe er den Kritikern Recht. Jenen, die bemängelten, daß Goldhagen zu wenig die Bemühungen derer würdige, die dem Antisemitismus zumindest mit kleinen Schritten"; entgegengewirkt hätten. Dabei ist der Schritt zum Widersprechen genau so klein wie der Schritt zum Mitlaufen";. Gewiß wollte Stöhr diese Aussage als Ermutigung verstanden wissen, möglichem erneuten Versagen vorzubeugen.

Sabine Kuschel

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 9 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 02.03.1997

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