Künstler in einer Zeit der Umbrüche
Ausstellung in Berlin zu Adolph Menzel
Berlin - Ist Adolph Menzel der getreue Porträtist der friderizianisch-wilhelminischen Ära oder der erste große deutsche Maler des Industriezeitalters? Die große Menzel-Ausstellung im Alten Museum am Berliner Lustgarten, die zum ersten Mal die ganze Bandbreite seines Schaffens vereint, läßt nur eine Antwort zu: er ist beides. Nimmt man Menzels frühe Interieur - und Landschaftsbilder hinzu, enthüllt er sich zudem als ein Vorläufer des Impressionismus
Die große Vielschichtigkeit im Gesamtwerk des bedeutendsten deutschen Malers des 19. Jahrhunderts zu dokumentieren, seine innere Widersprüchlichkeit, die zugleich Reichtum ist, aufzuschließen, die Dualität seines Schaffens dem heutigen Betrachter überzeugend erlebbar machen, ist das eigentliche Ziel der von der Berliner Nationalgalerie und dem Kupferstichkabinett in Zusammenarbeit mit dem Museé d Orsay (Paris) und der National Gallery of Art in Washington veranstalteten Exposition.
Unter dem Motto "Das Labyrinth der Wirklichkeit" zeigt sie bis zum 11. Mai 65 Gemälde, rund 200 Zeichnungen und etwa 30 druckgraphische Blätter Adolph Menzels. Gemeinsam ist ihnen, bei aller Unterschiedlichkeit der Themenwahl, die wahrheits- und wirklichkeitsgetreue Darstellung, die nicht idealisiert, sowie eine enorme Detailgenauigkeit, ein fast manischer Detailfetischismus. In vielen Werken wird zudem deutlich, daß Menzel die Bilder nicht vorher komponierte, sondern den momentanen Blick des Betrachters wählte. Ein Meister des Augenblicks
Der Rundgang durch die Schatzkammern Menzelscher Kunst beginnt mit einer Video-Präsentation über das Leben des nur 1,50 Meter "kleinen großen Meisters". 1815 in Breslau geboren, zieht er 1930 mit seiner Familie nach Berlin. Mit 17 Jahren übernimmt er nach dem Tod des Vaters dessen lithographische Werkstatt und sorgt für den Unterhalt der Familie. Bereits davor arbeitete der künstlerisch Hochbegabte an "Luthers Leben, ein Bilderbuch für die Jugend" mit
Mit seinen 1844 - 1847 entstandenen Interieurs der eignen Wohnung sowie Berliner Stadtlandschaften wie "Bauplatz mit Weiden" und der "Berlin-Potsdamer Eisenbahn" (1847) - übrigens der ersten Darstellung einer Eisenbahnlandschaft in Deutschland - erwarb sich Menzel seinen späteren Ruf als "Vorläufer des Impressionismus"
Zu der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848 äußerte Menzel enttäuscht: "Ich habe Pech mit Revolten... es schmerzt mich jetzt zum ersten Mal, daß kein großer starker Kerl aus mir geworden ist". Sein Gemälde "Aufbahrung der Märzgefallenen" bleibt unvollendet
1849 beginnt der Künstler mit einem Gemälde-Zyklus zu Friedrich dem Großen, einem "langgehegten Wunschtraum". Zu ihm gehört auch Menzels berühmtestes Werk, das "Flötenkonzert Friedrich II. in Sanssouci" (1852). Die physiognomische Prägnanz ist bestechend, ebenso die Liebe zum Detail, die den Betrachter sogar das warme Licht der Kerzen empfinden läßt. 1865 folgt die "Krönung Wilhelm I. in Königsberg". Seine "Historienmalerei der Gegenwart beendet Menzel mit der "Abreise Wilhelm I. zu Armee am 31. Juli 1870"
Zur künstlerischen Sensation des Jahres 1875 wird "Das Eisenwalzwerk (Moderne Cyklopen". Auf der Basis von über 100 Zeichnungen, die Menzel während eines mehrwöchigen Aufenthalts im Eisenwalzwerk Königshütte, Oberschlesien, anfertigte, entstand dieses "Symbol des Industriezeitalters"
Nur weinge Meter vom "Walzwerk" entfernt steht die von Reinhold Begas 1876 geschaffene Büste Adolph Menzels. Der Blick weitet sich in die gegenüberliegende herrliche Rotunde des Alten Museums, wo der große realistische Künstler nach seinem Tod 1905 aufgebahrt wurde. Jetzt ist er mit seinem Werk in beeindruckender Weise zurückgekehrt
Reiner Cimbollek
Hinweise: Die Adolph-Menzel-Ausstellung im Alten Museum ist bis zum 11. Mai täglich von 9 - 17 Uhr geöffnet, mittwochs bis 22 Uhr. Ein großer Menzel-Katalog kann für 49,- DM erworben werden.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.03.1997