Wanke: Lasten gerecht verteilen
Kirchen stellen in Erfurt Sozialwort vor
Erfurt (tdh) - Der Erfurter Bischof Joachim Wanke hat angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland ein "entschlossenes Handeln der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft" gefordert. In einer ersten Reaktion anläßlich der Veröffentlichung des "Gemeinsamen Wortes der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland" unterstrich der Bischof die zentrale Forderung des Sozialpapiers, "einen rechten Ausgleich" zwischen der Marktwirtschaft und dem Sozialstaatsprinzip in der Gesellschaft zu schaffen und die Lasten bei der Finanzierung des Sozialstaates "gerecht" zu verteilen. Mit dem Sozialpapier wollten die Kirchen die Notwendigkeit herausstellen, "jetzt etwas gegen die Arbeitslosigkeit zu unternehmen", so der Bischof in seinem Statement, das von seinem Pressereferenten Carsten Kießwetter am 28. Februar vor Journalisten in Erfurt verlesen wurde
Neben einer gerechten Lastenverteilung hält Wanke die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit jedes Bürgers für notwendig. "Wir können nicht nur immer die Hände aufhalten", so der Bischof. "Jeder, auch die Kirchen müssen bereit sein, zum Erhalt unserer sozialstaatlichen Absicherungen einen Beitrag zu leisten, auch wenn dies schmerzlich ist." Erfreut äußerte sich Wanke darüber, "daß evangelische und katholische Kirche in Deutschland zu diesen heiß diskutierten Themen mit einer Stimme sprechen". Dies werde dem Wort "in der Öffentlichkeit größeres Gewicht geben"
Hubertus Staudacher vom Bildungswerk des Bistums Erfurt stellte den Journalisten das Sozialwort vor. Es seien besonders zwei Begriffe, die das Papier der Gesellschaft als wichtige Themen in den Blick zu nehmen empfehle: "Armut" und "Reichtum". Mit dem Sozialwort wollten die Kirchen darauf hinweisen, daß es eine soziale Verpflichtung jedes einzelnen Bürgers gibt, das ihm Mögliche für die Gesellschaft zu tun. Dies gelte ewa auch für Arbeitslose
Bezüglich der besonderen Lage in den neuen Ländern wies der Geschäftsführer des Bildungswerkes darauf hin, daß das Sozialwort unter Punkt 212 "verstärkte Investitionen zum Aufbau neuer Wirtschaftsstrukturen" verlangt. Zugleich warnten die Bischöfe an der selben Stelle des Papiers davor, im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen weitere Kürzungen vorzunehmen, da sonst die Spaltung in der Gesellschaft vertieft und die Demokratie durchaus gefährdet werden könnte, so Staudacher
Für den Leiter des Katholischen Büros in Erfurt, Ordinariatsrat Winfried Weinrich, will das Sozialpapier vor allem zur Feststellung und Stärkung des Grundkonsens in puncto einer zukunftsfähigen, menschenwürdigen Gesellschaft beitragen. Diese "Vergewisserung" bezüglich der Grundübereinstimmungen möglichst vieler Menschen über die weitere Ausgestaltung von Gesellschaft und Staat sei nicht zuletzt angesichts verschiedenster Risse, die die Gesellschaft durchziehen, dringend erforderlich. Solche Risse seien die Massenarbeitslosigkeit, das Auseinanderdriften von Wohlstand und Armut, die Kluft zwischen Ost und West und das Gefälle zwischen Nord und Süd. Weinrich kündigte im Rahmen des Mühens um den Grundkonsens und in Fortsetzung bereits durchgeführter Veranstaltungen Aktivitäten der Kirchen Thüringens an. So sei für den 7. April im Erfurter Augustinerkloster ein Gespräch zwischen Landesregierung, Abgeordneten, Vertretern nicht im Parlament vertretener Parteien und Vertretern aus verschiedenen kirchlichen Aufgabenfeldern geplant. Weitere Gespräche etwa mit Gewerkschaften und Verbänden sollen folgen
Der Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Kirche in Thüringen, Roland Hoffmann, sieht im Sozialwort ein Hoffnungszeichen, weil es aufzeigt, "daß die Probleme nicht unlösbar sind". Das Papier schreibe die Priorität des Sozialstaates fest, der alternativlos nur in einer sozialen Marktwirtschaft verwirklicht werden könne. "Wie lebensfähig die soziale Marktwirtschaft ist, wird sich daran zeigen, wie reformfähig sie ist", so Bischof Hoffmann. Unterdessen hat der evangelische Thüringer Landessozialpfarrer Thomas Freytag bei der Auseinandersetzung um neue Beschäftigungsmodelle eigene Impulse der Kirchen verlangt, da sie als Arbeitgeber selbst mit sinkenden Einnahmen zu kämpfen hätten. Freytag sprach sich gegen die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes bei gleichzeitiger Besteuerung von Nacht- und Sonderschichtzuschlägen aus.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.03.1997