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Bistum Erfurt

Gute Nachbarschaft hilft Alltag bewältigen

Aussiedler in Saalfeld gründen Selbsthilfe-Verein

Saalfeld (fi/tdh) - Vielleicht ist es sogar bisher einmalig in der Bundesrepublik: Aussiedler, in diesem Fall vor allem Rußlanddeutsche, schließen sich zusammen und gründen einen Verein, um etwas für sich selbst und für Menschen in vergleichbarer Situation zu tun. Vor vier Wochen war in Saalfeld die Zeit dafür reif: Unterstützt und initiiert von der Caritas-Kreisstelle Saalfeld trafen sich am 20. Februar Aus- und Umsiedlerfamilien der Region, um ihren Verein "Nachbarn" ins Leben zu rufen

"Mit unserem Verein wollen wir Menschen unterstützen, die wie wir als Aussiedler nach Deutschland hierher in die Region Saalfeld gekommen sind", sagt die Vereinsvorsitzende Alla Fischer. "Wir möchten ihnen helfen sich zurechtzufinden, und wollen den Austausch und die gegenseitige Hilfe untereinander stärken." Ziel des Vereins, so Frau Fischer, ist es außerdem, Vorurteile abbauen zu helfen, etwa das Vorurteil, die Aussiedler kämen vor allem aus materiellen Gründen nach Deutschland. Genau dies treffe jedoch auf die meisten Aussiedler so nicht zu. "Jeder von uns bringt sein ganz persönliches Schicksal mit, das ihn zu diesem Schritt bewogen hat", sagt die Vorsitzende. "Deshalb wollen viele nach mehrfach erlebten Vertreibungen hier endlich eine Heimat finden für sich, ihre Kinder und Enkel.

Genau dieses Anliegen sucht der Leiter der Caritas-Kreisstelle Saalfeld, Thomas Fischer, zu fördern und ermutigt und unterstützt die Aussiedler darin, selbst aktiv zu werden und für sich und ihresgleichen etwas auf den Weg zu bringen. So sollen die Aussiedler durchaus manches von ihrer Lebensart und Tradition weiter pflegen, etwa, indem sie vertraute Gerichte kochen. Oder indem sie einfach gute Nachbarschaft pflegen, wie sie es aus Rußland gewohnt waren. Denn dies berichten fast alle Vereinsmitglieder: Sie hätten im Osten positive Nachbarschaft gelebt und Freunde gehabt, die die Tür aufgemacht und keinen im Regen stehen gelassen hätten. "Im Westen dagegen", so weiß Vorstandsmitglied Alfred Muss von seinen rußlanddeutschen Bekannten in Nordrhein-Westfalen, "sieht jeder nur sich, sein Haus und seine eigenen Probleme"

Wesentlich mit auf den Weg gebracht hat den Verein "Nachbarn" Caritas-Mitarbeiterin Theresa Rüdiger. Sie ist seit inzwischen drei Jahren in der Kreisstelle für die Migrationsarbeit zuständig. "Als wir mit unserer Arbeit anfingen, hatten viele der von uns betreuten Aussiedler den Wunsch, so schnell wie möglich in die alten Bundesländer zu gehen. Heute möchten die meisten hierbleiben, weil es ihnen hier gefällt", so Frau Rüdiger

Im thüringischen Saalfeld leben derzeit etwa 50 Aus- und Umsiedlerfamilien. Sie wohnen in eigenen Wohnungen und haben teilweise auch Arbeitsstellen. Weitere 170 Personen sind in einem Übergangswohnheim untergebracht. Ihnen allen und allen neu nach Saalfeld kommenden Aussiedlern bietet der Verein "Nachbarn" seine Hilfe an. Mitarbeiterin Theresa Rüdiger, die gebürtige Polin ist und seit sieben Jahren in Deutschland lebt, und Leiter Thomas Fischer halten das Projekt für sehr sinnvoll: "Schließlich wissen die Mitlieder des Vereins selbst am besten, wo einem Aussiedler der Schuh drückt." Viele der Aussiedler sprechen nur mäßig deutsch und kommen mit der Bürokratie nicht zurecht. So kann "Nachbarn" so manchem den Einstieg erleichtern. Problematisch ist für den Kreisstellen-Leiter allerdings der Fakt, daß die ABM-Stelle von Theresia Rüdiger in diesem Frühjahr ausläuft. "Jetzt, wo ihre Arbeit Früchte trägt und ihre Unterstützung dennoch nötig wäre, kann ihre Stelle nicht mehr finanziert werden", beklagt Caritas-Kreisstellen-Leiter Fischer und hofft, noch einen Ausweg zu finden.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 11 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.03.1997

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