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Aus der Region

Rache darf nicht das Leitmotiv sein

Christen in Deutschland trauern um die Opfer von New York

Weihbischof Weinhold, Landesbischof Kress und Ministerpräsident Biedenkopf Dresden - Das Entsetzen über den Terroranschlag in New York ist den Besuchern des Trauergottesdienstes in der Kreuzkirche in Dresden anzusehen. Viele haben dunkle Ringe unter den Augen, weil sie die Nacht vor dem Fernseher verbracht haben. Immer wieder haben sie die Bilder vom brennenden World Trade Center gesehen und können immer noch nicht glauben, was passiert ist - einen Tag nach der Katastrophe haben sich in der Kreuzkirche hunderte Menschen versammelt, um in einem Gottesdienst der Opfer und ihrer Angehörigen zu gedenken. Die Menschen zünden Kerzen an. Unter ihnen Weihbischof Georg Weinhold, Landesbischof Volker Kress, der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Hans Joachim Meyer. Gerade hier in Dresden kennt man das Inferno des Krieges - bei den Alten sind die Bilder der brennenden Häuser und sterbenden Menschen noch in Erinnerung. "Ich bin bestürzt und entsetzt über das, was passiert ist", sagt Karl-Heinz Walter. "Es ist unglaublich, was sich Menschen antun können." Als Jugendlicher habe er die Zerstörung seiner Heimatstadt Karlsruhe miterlebt und könne vor allem mit den Angehörigen mitfühlen. "Die Ungewissheit quält dich, wenn du nicht weißt, was mit deinen Leuten passiert ist, und du gibst die Hoffnung nicht auf, dass die Betreffenden doch überlebt haben", sagt Walter. In dieser Situation hätten die Kirchen eine wichtige Aufgabe: Den Menschen Trost zu spenden und sie wieder aufzurichten. Er bete dafür, dass sich die Religionen an einen Tisch setzen und endlich die Gemeinsamkeiten entdecken.
Ebenso geschockt ist die evangelische Christin Brunhild Kuttner. "Ein Vergeltungsschlag wäre aber in dieser Situation nicht gut", sagt sie. Man könne den Hass nicht mit Hass beantworten. "Ich hoffe, dass Gott die vielen Gebete erhört." Es ist eine große Trauergemeinde, die sich zu diesem ökumenischen Gottesdienst in der Kreuzkirche versammelt hat.

Langsam betreten die Geistlichen die Kirche. Karfreitag im Herbst. Landesbischof Volker Kress ringt um Worte. In solch einer Situation mache sich nichts als Sprachlosigkeit breit, sagt er. "Auch wir sind ohnmächtig angesichts dieses Terrors von skrupellosen und menschenverachtenden Tätern, die eine furchtbare Ernte eingefahren haben." Die Folgen des Infernos seien noch nicht absehbar. Die Gebete der Christen in Deutschland würden jetzt vor allem den Opfern und deren Angehörigen gelten, aber auch jenen, die in dieser Situation "schwere politische Entscheidungen" treffen müssen.

Ortswechsel: Dresdner Hofkirche. Hier feiert Bischof Joachim Reinelt mit der Domgemeinde ein Requiem für die Opfer. Joachim Reinelt ist sichtlich erschüttert. Hass und Gewalt seien eine Sache von Schwachen, sagt der Bischof. Die Christen müssten sich jetzt dafür einsetzen, dass sich die Spirale der Gewalt nicht weiter drehe. Rache dürfe nicht zum Leitmotiv werden. "Wahrheit und Frieden sind unaufgebbar miteinander verbunden", sagt Reinelt in Anspielung an Mahatma Ghandi. Der 11. September dürfe jedoch nicht als ein Ereignis, für sich gesehen werden, er habe eine lange, bittere Geschichte. "Die Schuld darf nicht nur bei denen gesucht werden, die jetzt zuschlagen", so der Bischof. Schuld trügen auch jene Völker, die es ihnen vorgemacht haben. Gewaltlosigkeit sei jetzt das entscheidende Wort. Die Losung "Keine Gewalt" habe in der jüngeren Geschichte schon einmal verhindert, dass unschuldige Menschen geopfert worden sind. Diese Botschaft müsse jetzt von "Herz zu Herz" getragen werden.

Einen Tag später versammeln sich spontan einige tausend Jugendliche in der Hofkirche. Bischof Reinelt warnt vor der Vergeltung: "Wenn einer von euch verachtend auf einen Muslime herabblickt, dann beginnt er wieder Krieg." Bei den Gottesdienstbesuchern mischt sich unter die Trauer und Angst jetzt ein wenig Hoffnung. Sie spüren, dass sie für die Opfer und ihre Angehörigen getan haben, was im Moment möglich ist.

Andreas Schuppert

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 38 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 20.09.2001

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