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Bistum Görlitz

Ein optimistischer Blick auf die Lage in Deutschland

Interview mit dem Apostolischen Nuntius Giovanni Lajolo, der die Kar- und Ostertage im Bistum Görlit

Frage: Herr Nuntius, was erwarten Sie von ihrem Besuch in Görlitz?

Lajolo: Der erste Zweck meines Besuches im Bistum Görlitz besteht darin, durch meine Anwesenheit die Verbundenheit des Heiligen Vaters mit den Katholiken und allen Christen zu bezeugen.

Frage: Werden Sie die Tage in Görlitz auch für Begegnungen mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen oder mit dem nahen Polen nutzen?

Lajolo: Selbstverständlich werde ich, soweit das in dem vorgegebenen Rahmen möglich ist, mit Persönlichkeiten und Gremien zusammentreffen, die eine besondere Verantwortung für das Wohl der Menschen tragen. So werde ich einen Besuch beim Oberbürgermeister der Stadt Görlitz machen, mit dem Vorstandsvorsitzenden der LAUBAG sprechen. Begegnungen sind vorgesehen mit dem Vorstand des Diözesanrates, mit Vertretern der Gemeinde Hoyerswerda, mit Jugendlichen, den Osterreitern von Wittichenau und Ralbitz, mit Priestern und Mitgliedern geistlicher Gemeinschaften. Ich bin sicher, daß die vielfältigen Kontakte mir Einsichten in die Situation und die Probleme der Menschen am Ort vermitteln werden. Eine besondere Bedeutung messe ich den Begegnungen mit den Sorben bei. Was Polen angeht, so ist zwar die Grenze nicht weit, doch die Zeit für einen Besuch zu knapp. Zudem ist zu bedenken, daß sich meine Aufgabe auf Deutschland bezieht.

Frage: Görlitz ist zahlenmäßig das kleinste Bistum Deutschlands. Welche Rolle kann es für die katholische Kirche in Deutschland spielen?

Lajolo: Die Tatsache, daß Görlitz das zahlenmäßig kleinste Bistum Deutschlands ist, bietet besondere Chancen, weil Bischof, Priester und Gläubige einander persönlich besser kennen können als in großen Diözesen und Kontakte oft unmittelbarer möglich sind. Die Rolle, die die einzelne Diözese im Hinblick auf die anderen spielen kann, ist zuerst die Rolle, die ihr in der "Gemeinschaft der Heiligen" zuwächst, d. h. die Teilhabe am Schatz des Glaubens und der Liebe. Aufgrund der geographischen Lage könnte ich mir vorstellen, daß der Diözese eine besondere Aufgabe in der Ausgestaltung des Verhältnisses zu Polen zukommen könnte.

Frage: Görlitz ist das letzte Bistum in den neuen Bundesländern, das Sie besuchen. Welchen Eindruck haben Sie von der Kirche in den neuen Ländern?

Lajolo: Eigentlich kann man nicht sagen, daß ich bis jetzt Bistümer besucht habe. Ich bin vielmehr aus bestimmten Anlässen schon in den Städten Berlin, Dresden, Erfurt und Magdeburg gewesen. In verschiedenen Bischofssitzen Westdeutschlands hat sich eine solche Gelegenheit noch nicht ergeben. Die begrenzten Einblicke, die ich bisher bekommen habe, haben mir als wesentlichen Eindruck vermittelt, daß es in der Kirche in den neuen Bundesländern sehr engagierte Priester und Laien gibt, die sich der neuen pastoralen Probleme und Möglichkeiten, die die neue politische Lage mit sich gebracht hat, sehr bewußt sind. Sehr oft aber sind sie angesichts knapper Mittel und personeller Engpässe noch dabei, Wege zu suchen, um der Kirche eine angemessene Ausstrahlung in die heutige Gesellschaft hinein zu ermöglichen.

Frage: Sehen sie Unterschiede zwischen den Bistümern im Osten und im Westen?

Lajolo: Es gibt Unterschiede, die sich aus den offenkundig sehr unterschiedlichen Zahlen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Katholiken und nichtkatholischen Christen sowie zwischen Christen und Konfessionslosen ergeben. Aber auch im Westen gibt es große Unterschiede zwischen einzelnen Diözesen, z. B. zwischen Eichstätt und Hamburg, zwischen Rottenburg-Stuttgart und Münster. Der größte Unterschied aber hat - so scheint mir - damit zu tun, daß sich das Leben in den letzten 50 Jahren zwar nicht getrennt, aber doch in erzwungener Distanz vollzogen und so zu unterschiedlichen Erfahrungen geführt hat. Ich meine, daß der Schatz wertvoller Erfahrungen in Ostdeutschland nicht leichtfertig aufgegeben werden sollte. Dabei denke ich vor allem an die besonders enge Verbindung der Laien mit den Priestern und an die Einheit aller mit dem Bischof und mit dem Heiligen Vater.

Frage: In Brandenburg wird über LER diskutiert; in einigen Bundesländern gibt es Streit um die Richtlinien der Bischöfe zur Schwangerenberatung. Ist die Bundesrepublik durch die Vereinigung mit dem weitgehend entchristlichten Osten weniger katholisch, als sie es vor 1989 war?

Lajolo: Zweifelsohne ist der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung nach der Wiedervereinigung zahlenmäßig geringer als vorher. Das bedeutet aber nicht, daß ihre Stellung schon deswegen geschwächt wäre. Denn die Fähigkeit der Kirche, ihre Aufgaben als Kirche zu erfüllen, ist in keiner Weise beeinträchtigt. Wahr ist, daß sie neue Chancen wie neue Aufgaben hat. Aber einerseits vertieft sich nun das Bewußtsein der Notwendigkeit, auf allen Feldern, auf denen es möglich ist und nützlich sein kann, den gemeinsamen Einsatz mit den evangelischen Kirchen zu verstärken. Das kürzlich herausgegebene Sozialwort kann als gelungenes Beispiel dafür gelten. Schon in der Vergangenheit hat es gemeinsame Verlautbarungen der beiden großen Kirchen zu aktuellen Fragen gegeben, neu bei der letzten war die Intensität der gemeinsamen Vorbereitung.

Andererseits darf die Kirche in der heutigen zunehmend säkularisierten Gesellschaft nicht erwarten, daß weltanschaulich anders ausgerichtete Kräfte von vornherein bereit sind, die Stellung der Kirche, auch wenn sie durch das Grundgesetz gesichert ist, widerspruchslos zu akzeptieren. Das soll uns nicht zu Pessimismus verleiten, doch braucht die Kirche in dieser Situation ein waches Problembewußtsein, Bereitschaft, neue Initiativen zu ergreifen, und die Fähigkeit, die eigene Position argumentativ überzeugend zu vertreten. Im Hinblick auf LER ist es erfreulich, daß katholische und evangelische Kirche grundsätzlich dieselbe Position bezogen haben.

Frage: Die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre haben die Ostdeutschen sehr verunsichert. Viele sehen pessimistisch in die Zukunft. Welche Rolle kann die Kirche hier spielen?

Lajolo: Ich sehe die Zukunft Deutschlands und insbesondere Ostdeutschlands und seine heutigen Probleme keineswegs pessimistisch. Ich habe die Zuversicht, daß es noch vor Ablauf der nächsten zehn Jahre zu einer positiven Entwicklung in den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen kommt. Deutschland ist eine Einheit. Kreative Kräfte sind am Werk. Bedeutende finanzielle Mittel stehen immer noch zur Verfügung. Deutschland hat eine große Kulturtradition, überragende technologische Fähigkeiten. Es bleibt im Kreis der Industrienationen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig und zwar in einer hervorragenden Stellung. Aber es ist auch Geduld nötig, die über das Heute und die kurzfristigen Termine hinaus voranschauen kann. Sicher sind Opfer unumgänglich. Sie sollen in der Gesinnung der Solidarität gebracht werden, in der die Stärkeren nicht vergessen, den Schwächeren zu helfen - Und das in Freude.

Man soll wohl auch das Dunkle vergangener Tage nicht vergessen. Sicher haben sich auch noch nicht alle Erwartungen erfüllt, die an die Wende geknüpft waren. In dieser Situation kann die Kirche eine wichtige Rolle als moralische Kraft spielen, die einigt, ermutigt, ausgleicht und zu den religiösen und zivilen Tugenden aufruft, ohne die die besten Gesetze wirkungslos bleiben. Wie keine andere Institution kann die Kirche allen Menschen, vor allem aber den vielen Jugendlichen, die heute ohne Orientierung sind und doch nach ihr suchen, sichere Anhaltspunkte aufzeigen und aus ihrer Erfahrung Hilfen für ein sinnerfülltes Leben mitteilen. Vor allem aber sollten sich die Jugendlichen in der Kirche mit Liebe und Verständnis angenommen fühlen. Grundsätzlich gilt, und das Zweite Vatikanische Konzil hat es wiederholt, daß der erste und wichtigste Beitrag, den die Christen für die Gesellschaft leisten können, darin besteht, daß sie ihren Glauben konsequent leben.

Interview: Matthias Holluba

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 12 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.03.1997

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