Für Osten nur ein paar Randbemerkungen
Sächsischer Minister kritisiert Sozialwort
Dresden - Der sächsische Staatsminister für Finanzen, Prof. Georg Milbradt (CDU), kritisierte in einem Diskussionsabend im Dresdner St. Benno-Gymnasium, zu dem die Katholische Akademie Dresden eingeladen hatte, das Wort der Kirchen "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" als "zu defensiv". Obwohl er es begrüße, daß die Kirchen die Diskussion in Gang gebracht und strukturiert hätten, könne er nur einen Teil der Vorschläge akzeptieren. Ihm fehlten innovative Gedanken: "Im Papier steht immer nur drin, was man nicht anfassen, aber nicht, was man machen soll." Beispielsweise sei der durch die demographische Entwicklung völlig veränderten Situation, die die Solidarität des Generationsvertrages in Frage stellt, ungenügend Rechnung getragen
Das Wirtschafts- und Sozialwort sei "in weiten Teilen ein westdeutsches Papier", und er hätte "mehr erwartet als ein paar Randbemerkungen zur ostdeutschen Problematik." Was zum Komplex Armut gesagt sei, überzeuge ihn nicht, Armutsanstieg müsse immer auch in absoluten Zahlen interpretiert werden. Desgleichen sei sein Eindruck zum Kapitel Marktwirtschaft geteilt. Es fehlten Passagen, wie eigentlich Wettbewerb funktioniere. Georg Milbradt wünschte sich "stärker an der Situation der Betriebe orientierte Lösungen". "Ich hätte gern gewußt, wie das mit dem Lohn ist". Dazu sei im Papier nichts zu finden, ebenso fehle die Erklärung, wie das Sozialsystem mit dem Steuersystem korrespondiere. Auch die Konsequenzen der europäischen Einigung hätte ich mir deutlicher gewünscht.
Die gegenwärtig als Abbau des Sozialstaates kritisierten Vorschläge und Maßnahmen bezeichnete Milbradt als "notwendige Korrekturen"
An der Podiumsdiskussion nahmen Bischof Joachim Reinelt sowie der Volkswirt und Theologe Dr. Andre Habisch aus Berlin teil. Habisch hat als Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) an der Erarbeitung des Papiers Anteil und verteidigte den Blickwinkel der Kirchen, die es konkret mit den zu kurz Gekommenen der Gesellschaft zu tun haben
Bischof Joachim Reinelt warnte vor der Verkürzung, in dem gemeinsamen Papier der Kirchen nur ein Sozialpapier zu sehen, es sei ein Wirtschafts- und Sozialpapier und sich bewußt, daß nur verteilt werden könne, was erwirtschaftet worden sei. Auf der anderen Seite sehe er einen "zerstörerischen Egoismus" in der Gesellschaft, der das Soziale in der Marktwirtschaft in Frage stelle aber sich auch im Mißbrauch sozialer Leistungen äußere. Bischof Joachim Reinelt bat abschließend um weitere Mitwirkung und Diskussionen, wobei die Kirchen "Orte der Orientierung" sein könnten
Ursula Wicklein
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 30.03.1997