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Bistum Görlitz

Ein Ort geistlicher Erneuerung

Die Abtei Grüssau/Schlesien

Grüssau - Wenn Papst Johannes Paul II. im Juni anläßlich des Eucharistischen Weltkongresses Polen besucht, wird er nach polnischem Brauch unter anderem das Gnadenbild des Marienwallfahrtsortes Grüssau inthronisieren

Die Gemeinden Polens bereiten sich auf dieses Ereignis vor, indem sie die frisch restaurierte Muttergottesikone, die um das Jahr 1300 in Rimini gemalt worden sein soll, in den kommenden Wochen "wandern" lassen. In vielen katholischen Kirchen werden sich die Gläubigen zu Gottesdiensten vor dem Gnadenbild versammeln oder dort stille Anbetung halten

Auch im Bistum Görlitz haben die Katholiken Gelegenheit, vor dem Gnadenbild zu beten. Am 2. April wird die Ikone über die deutsch-polnische Grenze getragen, ab 16 Uhr ist sie in der Görlitzer Heilig-Kreuz-Kirche ausgestellt. Bischof Rudolf Müller erinnert in diesem Zusammenhang an die Impulse für die liturgische Bewegung, die von dem Riesengebirgsort Grüssau in den zwanziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts ausgegangen sind. Schon in früheren Jahrhunderten spielte das Kloster eine bedeutende Rolle. Als Fürstabtei war Grüssau neben Leubus führend unter den schlesischen Zisterzienserklöstern. Die Herzoginwitwe Anna, eine Schwiegertochter der heiligen Hedwig, stiftete das Kloster im Ziedertal im Jahre 1242 für Benediktiner aus ihrer böhmischen Heimat. Fünfzig Jahre später lösten Zisterzienser die Benediktiner ab. Das "Goldene Zeitalter" Grüssaus begann im 17. Jahrhundert mit dem Abt Bernhard Rosa. Er setzte sich für eine geistliche Erneuerung der Zisterzienser in Schlesien ein, begann in Grüssau mit einer regen Bauaktivität und begründete dort mit namhaften Bildhauern und Malern eine künstlerische Tradition, die bis zur Säkularisation lebendig blieb

Zu Bernhard Rosas Zeit wurde die Grüssauer Abteikirche ausgebaut, die Josephskirche mit barocken Freskenzyklen des berühmten schlesischen Malers Matthias Willmann wurde neu gebaut. Darüber hinaus entstanden im Ziedertal Nachbildungen des Hauses von Nazareth, der Geburtsgrotte und des Abendmahlssaals, eine Heiliggrabkapelle und ein Großer Kreuzweg mit 32 Stationen

Zu Ehren des heiligen Josef gründete der Abt eine Bruderschaft, der unter anderem große Teile des Breslauer Domkapitels, des katholischen Adels Schlesiens und der Nachbargebiete, Künstler und Dichter wie Matthias Willmann und Angelus Silesius und Klöster in ganz Deutschland angehörten, in den besten Zeiten bis zu 100 000 Mitglieder. Sie verpflichteten sich zu täglichen Gebeten, monatlichem Sakramentenempfang und Dienst an Armen und Kranken

Nachdem die Mönche im Zuge der Säkularisation 1810 vertrieben wurden, verfielen etliche Grüssauer Bauwerke zusehends. Mehr als hundert Jahre dauerte es, bis das Kloster wieder mit Leben erfüllt wurde. Benediktiner von Emaus, die aus ihrem Prager Kloster ausgewiesen worden waren, begannen 1919 in Grüssau neu

Die Patres bemühten sich von Anfang an durch Predigten, Vorträge und die Verbreitung von Literatur sehr intensiv um eine liturgische Erziehung der Gemeinde, ohne jedoch bestehende Formen der Volksfrömmigkeit abzuschaffen

Insbesondere führten sie die Kirchenbesucher zu einem bewußteren und aktiveren Mitfeiern des Meßopfers hin, das auch auf ihren Glaubensalltag ausstrahlen sollte. Neu war auch, daß Laien an den Stundengebeten der Mönche teilnahmen. Bereits die Jugendlichen wurden mit dem Choralgesang vertraut gemacht, erstmals gab es auch Kindergottesdienste

Erzpriester Stanislaus Stephan, der als Wegbereiter liturgischer Erneuerung in Schlesien gilt, hatte die Abtei als Erbin des von ihm gegründeten "Verlages für Liturgik" eingesetzt. Der Verlag gab Meßbücher und andere liturgische Schriften heraus, die in der Buch- und Kunsthandlung des Klosters verkauft wurden

Im Ersten Weltkrieg waren viele Ideale, Hoffnungen und Zukunftsaussichten zerbrochen. Wahrscheinlich ist daraus zu verstehen, daß in den Nachkriegsjahren viele Katholiken intensiver nach religiöser Vertiefung, nach Verbindung von Glauben und Leben suchten und sich einem kirchlichen, liturgischen Leben zuwandten

Die Abtei Grüssau traf in besonderer Weise auf diesen Nerv. Ihre Ausstrahlung ging weit über Grüssau hinaus. Bei Einkehrtagen und Jugendtreffen, Ministrantentagen und Wallfahrten, Fronleichnamsprozessionen, religiös-philosophischen Kursen, Priesterexerzitien und Küsterkursen wurde Grüssau zum Anziehungspunkt für Schlesier jeden Alters. Die Wallfahrten erlebten besonderen Aufschwung, nachdem 1937 das Gnadenbild restauriert wurde. Im Sommer 1940 wurden die Abteigebäude von der SS beschlagnahmt. Die Mönche mußten die Abtei räumen, zunächst für ein Umsiedler-Durchgangslager, später wurden hier schlesische Juden, aus ihrer Heimat verschleppte Lothringer und Elsässer sowie Ungarn untergebracht. Dem geistlichen Leben in Grüssau tat das jedoch keinen Abbruch. Von Ausweichquartieren in der Umgebung aus setzten die 47 Benediktiner die Seelsorge und andere geistliche Aktivitäten fort. 1945 durften sie wieder ihr Kloster beziehen, wurden aber schon 1946 wieder, diesmal endgültig, ausgewiesen. Im Jahr darauf machten sie einen Neuanfang in Wimpfen am Neckar. Pater Ambrosius Rose, der letzte deutsche Pfarradministrator in Grüssau, hält seither Kontakt mit ehemaligen Grüssauern, die verstreut in ganz Deutschland leben, unter anderem verschickt er seit 1946 regelmäßig einen "Grüssau-Rundbrief"

Er hat mehrere Veröffentlichungen über das Kloster herausgebracht und dabei die Arbeit des 1955 verstorbenen Grüssau-Geschichtsschreibers Pater Nicolaus von Lutterotti fortgesetzt. Über Jahrzehnte hinweg hat Pater Ambrosius die Aktion "Grüssau-Hilfe" am Leben gehalten, die er selbst begründet hatte. Mit Spenden von ehemaligen Bewohnern der Region und von Oblaten des Benediktinerklosters hat er in schwierigen kommunistischen Zeiten unter anderem den Erhalt der Baudenkmäler in Grüssau unterstützt

Zu den polnischen Benediktinerinnen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Grüssau gekommen sind, hat der über 80jährige Pater bis heute Kontakt. Die Schwestern kommen ursprünglich aus Lemberg. Nach der Besetzung durch Russen mußten sie ihr Heimatkloster verlassen. Zur Krönung des Gnadenbildes haben sie dem einstigen Grüssauer Pfarrer, der seit 1970 in Kellenried bei Ravensburg lebt, eine Einladung geschickt.
Dorothee Wanzek

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 13 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 30.03.1997

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