Entlarvter Gruppenegoismus
Diskussionsforum zum Sozialwort
Magdeburg (epd / tdh) - Das Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland hat der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes Sachsen-Anhalt, Jürgen Weißbach, begrüßt. Das Papier lege "den Finger in die Wunde unserer materialistischen Gesellschaft, die immer brutaler wird und Opfer vor allem von denjenigen verlangt, die wenig haben" sagte er am 19. März bei einer Diskussionsrunde des Bischöflichen Ordinariats Magdeburg und der Kirchenprovinz Sachsen zu dem kürzlich veröffentlichten Wort
Mit dem ersten Entwurf des Wortes vor zwei Jahren sei von den Kirchen eine wichtige Debatte in Gang gesetzt worden, sagte Weißbach. Er würdigte, daß die Kirchen am Grundsatz der Erwerbsarbeit festgehalten hätten. Kritik an dem Papier äußerte dagegen Sigrun Trognitz vom Arbeitgeberverband in Sachsen-Anhalt. Die darin enthaltenen wirtschaftsethischen Forderungen hätten erst dann einen Sinn, wenn die Ökonomie auch funktioniere
Zu den Diskussionsteilnehmern gehörte Marita Estor, katholisches Mitglied im Redaktionsteam des Sozialwortes. Sie unterstrich in besonderer Weise die Forderung der Kirchen, die hohe Arbeitslosigkeit nicht als unabwendbares Schicksal hinzunehmen. Derzeit richte sich der Blick zu einseitig auf die Erwerbsarbeit, beispielsweise blieben Familienarbeit und ehrenamtliche Arbeit zu wenig berücksichtigt. Es sei nötig, Wege zu finden, um alle Formen von Arbeit gerecht zu teilen. Pfarrer Willi Kraning, der den Konsultationsprozeß im Auftrag des Bistums Magdeburg begleitet hat, beklagte eine gegenwärtig vorherrschende Mentalität des Gruppen-Egoismus nach dem Motto "Alle anderen sollen zurückstecken, aber wir nicht." Die wenigsten wollten wahrhaben, daß geteilte Arbeit auch geteiltes Geld bedeuten müsse
In Sachsen-Anhalt seien im Zuge des Konsultationsprozesses eine Reihe kleinerer und größerer Gruppen in Gespräche über einen ethischen Grundkonsens und die daraus abzuleitenden Konsequenzen verwickelt worden, erläuterte Willi Kraning. Die Träger der Tarifparteien hätten sich beispielsweise infolgedessen in Magdeburg zu zweimonatlichen Gesprächen zusammengefunden, an denen meistens auch Bischof Leo Nowak und die beiden evangelischen Bischöfe in Sachsen-Anhalt teilnehmen. Das nächste Treffen dieser Art findet im Mai statt.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 30.03.1997