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Bistum Magdeburg

Holocaust läßt sich nicht ausblenden

Jesus aus christlicher und jüdischer Sicht

Magdeburg (ste) - "Jesus war zwar ein Jude nach dem Fleisch, aber sein ganzes Leben und Streben war eigentlich gegen die jüdische Gesetzesreligion gerichtet. Im Geist war er gar kein Jude und wollte auch keiner sein.

So oder so ähnlich argumentieren heute noch immer namhafte christliche Theologen, die offenbar nicht mit der historischen Tatsache fertig werden, daß der Mann, in dessen Namen die Kirche gegründet wurde, zeitlebens einer anderen Religion angehört hat und sein ganzes Wirken auf das leibliche Israel begrenzt hat.

P../../inchas Lapide eröffnete seinen Vortrag im Roncalli-Haus über das Verhältnis Jesu zum jüdischen Gesetz, der Tora, nicht mit Kompromißformeln. Der knapp 75jährige Buchautor und Vorreiter im christlich-jüdischen Dialog ging mitten in den Konflikt hinein. Anlaß war ein Offenes Seminar mit dem Thema "Jesus von Nazareth. Leben, Sterben und Auferweckung aus der Sicht jüdischer und christlicher Bibelauslegung". Grundfrage des Vortrags: "Welches Bild soll gelten: Jesus als ,bibelbeseelter Rabbi' oder ,Jesus, der angebliche Überwinder oder Sprenger der Tora'?

Das Fazit des jüdischen Wissenschaftlers: Die Bibelauslegung des Jesus von Nazareth könne als maximalistisch bezeichnet werden, sie bleibe aber "gut rabbinisch innerhalb des Bereichs der jüdischen Bibelauslegung"

Lapide: "Wir finden bei ihm ein Ernstnehmen der Tora, das alle ihre Gebote bis zur letzten Konsequenz durchzudenken und anzuwenden entschlossen ist." Der christliche Gesprächspartner, Neutestamentler Pater Athanasius Polag OSB, Benediktiner-Prior auf der Huysburg, brauchte in vielen Punkten nicht gegenzuhalten: Jesus war voll und ganz Jude und schätzte die Tora. Einigkeit gab es auch darüber, daß Jesus den Anspruch hatte, Messias zu sein, auch wenn er sich diesen Titel öffentlich nicht selbst zulegte, ihn bisweilen wohl sogar ablehnte

Die Differenzen zwischen dem jüdischen Gelehrten und dem christlichen Theologen treten weniger im historischen Befund auf, stärker in der (gläubigen) Beurteilung: War er nun der Messias oder nur einer von 16 falschen Messiasen in der jüdischen Geschichte. Hat er das Heil gebracht, das heißt läßt sich diese Welt nun als erlöst betrachten? Das gilt auch für die Auferweckung Jesu. Im Gegensatz zu vielen anderen Juden, stellt für Lapide die Auferweckung Jesu eine Wirklichkeit dar

Den Unterschied in der Auffassung formuliert Pater Athanasius Polag: Wir Christen glauben, daß Jesus nach der Auferweckung weiter Einfluß genommen hat, es gab Begegnungen, eine Geistsendung, so wie sie Joel vorhergesagt habe

Die Debatte, von jüdischer Seite großenteils von Lapides Ehefrau Ruth engagiert und bis-weilen emotional geführt, zeigte: Auch über historische Sachverhalte und neutestamentliche Texte, die rund 1900 Jahre alt sind, kann nicht neutral diskutiert werden

Vor allem das Johannes-Evangelium, das oft generell von "den Juden" spricht, bereitet hier Schwierigkeiten. Die Texte lassen die schweren Konflikte zwischen der Synagoge und den Anhängern der neuen Lehre gut ahnen. In späteren Jahrhunderten wurden diese Texte mißbraucht, um Pogrome zu rechtfertigen, sie dienten zur Kollektivbeschuldigung der Juden am Tod Jesu, sie bereiteten schließlich - so die jüdische Sicht - eine Haltung gegenüber den Juden vor, die zu Auschwitz führte

Pater Athanasius Polag forderte denn auch: "Wir sollten auf den Gebrauch von Texten im Gottesdienst verzichten, die in der Geschichte ihren Platz hatten in Pogromen und Judenverfolgungen - auch wenn die Theologen sie richtig deuten können.

Resümee des Magdeburger Seelsorgeamtsleiters Rat Gerhard Nachtwei: "Wir lernen in diesem Dialog, daß wir Dinge nicht nur aus unserer Sicht betrachten dürfen, sondern uns auch auf die Sicht des anderen einlassen müssen, damit wir dessen Empfindsamkeiten erkennen und beachten."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 13 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 30.03.1997

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