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Aus der Region

Christliche Orientierung für Reformen

Diskussionen zum Sozialwort in Berlin und Erfurt

Berlin / Erfurt (rc/ep) - Manche befürchten, das gemeinsame Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland sei schon totgelobt. Daß es nach wie vor auf großes Interresse stößt, zeigte sich bei Veranstaltungen in Berlin und Erfurt. Bei einer ökumenischen Veranstaltung in Berlin unterstrich Christa Thoben, Mitglied des CDU-Präsidiums, die christliche Grundorientierung werde gebraucht, denn "die Marktwirtschaft schafft keine moralischen Werte". Wichtig sei die "Reformbereitschaft in vielen Bereichen", wie sie das Papier fordere. Nur so könnten die Probleme gelöst werden. Dazu gehöre auch eine sozialverträgliche Gestaltung des "fast maßlosen Anpassungsprozesses in den neuen Bundesländern"

Als "eine Verteidigung des Sozialstaates gegen den Zeitgeist" begrüßte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse das Papier. Allerdings sei eine "strukturelle und moralische Erneuerung" notwendig, um eine "wirklich soziale Marktwirtschaft" zu erreichen. Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit müsse eine "gemeinsame europäische Strategie" gefunden werden

Auch der evangelische Landesbischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, befaßte sich mit dem "Skandal der Massenarbeitlosigkeit", mit dem in der Gesellschaft jedoch zu gleichgültig umgegangen werde. Huber bekannte sich zu dem "Menschenrecht auf Arbeit", machte aber auch deutlich, daß der Staat dafür keine Garantie geben, sondern nur die Rahmenbedingungen schaffen kann

Vor einer "Mentalität der unbedingten Besitzstandswahrung" warnte der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky. Damit könne niemand mehr den Problemen von heute gerecht werden. Auch "maßloser Individualismus und Egoismus" müßten erst überwunden werden. Nachdrücklich setzte sich Sterzinsky für eine stärkere Unterstützung der Familien durch den Staat ein. Familien sollten sich zusammenschließen, um ihre Rechte einzufordern. Weiter sprach sich der Kardninal für die Förderung der Teilkzeitarbeit - auch innerhalb der Kirchen - aus

Die Grünen-Politikerin Krista Sager (Hamburg) kritisierte ein mangelndes Eingehen des Papiers auf Fragen des Einbürgerungs-, Staatsbürgerschafts- und Asylrechtes. Bei der Gestaltung einer solidarischen und gerechten Gesellschaft dürfe es nicht nur um die Deutschen gehen

Mit dem Sozialwort weitet eine nichtpolitische Institution der Politik den Blick, lobte der Thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) das Papier auf einer ökumenischen Verantaltung in Erfurt. Nach Auffassung von Thüringens Innenminister Richard Dewes (SPD) reiche die von den Kirchen geforderte "Kultur des Erbarmens" nicht aus. Stattdessen müsse auch über Ansprüche und Besitzstände diskutiert werden. Europaministerin Christine Lieberknecht würdigte die fünfprozentige Reduzierung der Gehälter für Pfarrer der Thüringischen Landeskirche als Beispiel dafür, "das zeichenhaft etwas passiert". Sie warf die Frage auf, inwieweit es auch im Westen an der Zeit sei, zu solchen Schritten zu kommen

Thüringens evangelischer Landesbischof Roland Hoffmann sprach von der Ohnmächtigkeit der Politik gegenüber den Konzernen. Dies werde etwa daran deutlich, daß Wirtschaftsunternehmen riesige Gewinne machten, aber mit ihrem Geld nicht für neue Arbeitsplätze oder gar Lehrstellen sorgten

Für den Paderborner Weihbischof Reinhard Marx hat das kapitalistisch marktwirtschaftliche - als das bislang am besten funktionierende - System nur dann langfristig eine Überlebenschance, wenn es gesellschaftlich auf einen Grundkonsens aller angelegt ist. "Es geht jetzt darum, ob ein solcher Grundkonsens in der Gesellschaft zukunftsfähig ist. Damit entscheidet sich zugleich, ob die westliche Marktwirtschaft und Demokratie Zukunft hat." Er halte die Idee von der Gerechtigkeit in der Gesellschaft "nicht nur moralisch, sondern auch für ökonomisch wichtig"

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 16 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 20.04.1997

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