Begegnung mit Handelspartnern
Hintergründe aus Indien für die Arbeit in Halle
Halle (dw) - Die ehrenamtlichen Verkäufer im Eine-Welt-Laden Halle sehen ihre günstigen Öffnungszeiten in Gefahr. Mit Unterstützung einer Bildungsgesellschaft, die Verkäufer und Industriekaufleute ausbildet, können sie das Geschäft in der Innenstadt von Halle bislang durchgehend öffnen
Lehrlinge der Deutschen Angestellten-Akademie (DAA) absolvieren den praktischen Teil ihrer Ausbildung zu Einzelhandelskaufleuten und Verkäufern überwiegend im Eine-Welt-Laden. Sie decken derzeit einen erheblichen Teil der Ladendienste ab
Im Sommer gehen die geförderten Ausbildungsgänge jedoch zu Ende. Bislang hat die DAA vom Arbeitsamt noch keine Genehmigung, dann mit einem neuen Ausbildungsgang zu beginnen für Jugendliche, die auf dem freien Arbeitsmarkt keine Lehrstelle finden
"Ohne die Mitarbeit der Auszubildenden wären wir gezwungen, die Öffnungszeiten erheblich zu verkürzen", sagt Irene Hüffmeier vom "Eine-Welt-Verein" Halle, der aus einer gemeinsamen Initiative der evangelischen und katholischen Studentengemeinden entstanden ist
Sie steht selbst regelmäßig ehrenamtlich hinter der Ladentheke. Sinkende Einnahmen wären die sichere Folge kürzerer Öffnungszeit, befürchtet sie. Derzeit reichen die Umsätze gerade einmal, um die Miete für den Laden und notwendige kleine Investitionen zu bestreiten
Bei aller Zufriedenheit über die Zusammenarbeit mit der Deutschen Angestellten-Akademie und ihren Auszubildenden: ganz ohne Probleme läuft es nicht
Die Ausbildung im Handel war für viele der knapp fünfzig Lehrlinge eher eine Notlösung, nachdem es mit dem Traumberuf auf dem freien Arbeitsmarkt nicht geklappt hatte. Anders als die Mitglieder des Eine-Welt-Vereins ist nicht jeder von ihnen motiviert, sich für fairen Welthandel einzusetzen. Vier junge Frauen und ein Mann hatten im Februar bei einer dreiwöchigen Indien-Reise die Gelegenheit, die Hintergründe ihrer praktischen Ausbildungstätigkeit näher kennenzulernen
Gemeinsam mit zwei Ausbildern und mit Irene Hüffmeier besuchten sie indische Produzenten und kamen in hautnahen Kontakt mit Müllsammlerfamilien in der Region Kalkutta, die der Halle-sche Eine-Welt-Verein unterstützt: Dank der Spenden aus Halle können seit anderthalb Jahren 300 Fünf- bis Zwölfjährige, die durch Sammeln und Verkauf von wiederverwertbaren Abfällen zum Unterhalt ihrer Familien beitragen, halbtags zur Schule gehen. Das Geld für die Löhne der Lehrer, Köchinnen, einen Arzt, für Schulmaterial, Schulspeisung und Kleidung für die Bedürftigsten kommt zu neunzig Prozent von der Entwicklungshilfeorganisation "Nord-Süd-Brücken". Die restlichen 9000 Mark müssen die Hallenser aus Spenden und durch Sonderaktionen aufbringen. Das Schulprojekt ist Teil eines umfassenderen Hilfsprogramms für die Müllsammler-Familien, an dem eine Reihe anderer Vereine und Organisationen beteiligt ist. Unter anderem bemühen sich die Mitarbeiter dieses Projektes, die Müllsammler-Familien offiziell registrieren zu lassen. Ohne Registrierung bekommen die Familien nie Anspruch auf eine Wohnung. Finanziert wurde die Indien-Reise aus Mitteln für Jugendaustausch-Programme. Im Juni und im Oktober werden jeweils vier Inder zum Gegenbesuch nach Halle kommen, darunter eine Sängerin und Handwerker, die Verkaufsgüter des Eine-Welt-Ladens produzieren. Unter anderem werden die Inder beim evangelischen Kirchentag in Leipzig und in den beiden Studentengemeinden in Halle über ihr Land informieren und aus ihrem Alltag erzählen. Obwohl sich die deutschen Jugendlichen vor der Reise ein halbes Jahr lang auf ihr Zielland vorbereitet haben, war es für sie schockierend, die Armut zu erleben, die dort herrschte: Einfache Bretterverschläge, in denen viele Familien am Straßenrand hausten, bettelnde Kinder, verhärmt aussehende junge Frauen... Für die Arbeit im Eine-Welt-Laden sind sie nach der Reise ganz neu motiviert
Indien ist neben Lateinamerika schon seit einigen Jahren Schwerpunktregion des Eine-Welt-Vereins Halle. Unter anderem veranstaltet der Verein einmal im Jahr eine Bengalische Woche
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 20.04.1997