Manchmal die einzige Anlaufstelle
Jugendsozialprojekt "Erfurter Brücke"
Erfurt - Die Jugendbegegnungs- und Beratungsstelle der "Erfurter Brücke" besteht seit einem Jahr. Anlaß für die Mitarbeiterinnen und Initiatoren, am 12. April zu einer Geburtstagsfeier im Rahmen eines "Tages der offenen Tür" und zu einem Podiumsgespräch zum Thema "Die artige und die böse Jugend" einzuladen
Zu dem Gespräch waren der Minister für Justiz und Europaangelegenheiten im Freistaat Thüringen, Otto Kretschmer (SPD), und der Erfurter Oberbürgermeister Manfred Ruge, eingeladen. Und es waren auch Jugendliche gekommen, unter ihnen auch solche, die sich nicht jede Mutter als ihre Schwiegertochter oder ihren Schwiegersohn wünschen würde. Daß diese in überaus sachlicher und konstruktiver Art und Weise mit den Gästen diskutierten, sprach einmal mehr für die "Erfurter Brücke"
"Das Haus und dessen Beratungs- und Freizeitangebote werden von Jugendlichen aus den verschiedensten ,Szenen' gut angenommen", stellte der Mühlhausener Pfarrer Gregor Arndt fest, der als ehemaliger Diözesan-Jugendseelsorger das Projekt maßgeblich mit initiiert hatte. Am Anfang standen 1990 die Erkenntnis, ein Haus der offenen Jugendarbeit einrichten zu müssen, und die Bereitschaft, dieses Wagnis einzugehen, berichtete Arndt. Die damaligen Initiatoren seien sich einig gewesen: "Wollen wir als Christen nicht nur in-nerkirchlich wirken, sondern auch beim Aufbau der neuen vielschichtigen Strukturen dem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden, müssen wir den Bereich der herkömmlichen Jugendarbeit um den der Sozialarbeit erweitern.
Also mußte ein Haus her, in dem Jugendlichen ein Freizeittreff in Verbindung mit einer sozialen Begleitung angeboten werden kann. Das Gebäude in der Regierungsstraße 37 bot sich an. 1991 wurde die "Erfurter Brücke e.V." aus der Taufe gehoben. Es folgte eine Zeit langer und schwieriger Verhandlungen mit den Behörden: Mal wurde das Haus in der Regierungsstraße zugesprochen, mal wieder nicht. Trotz der eigentumsrechtlichen Unsicherheiten fanden sich junge Leute, die mit Idealismus und Eigeninitiative das Projekt voranzutreiben halfen und es bis heute tragen
Im Dezember 1991 konnte dann endlich die Immobilie erworben werden. Im April 1996 öffnete das Haus seine Pforten
Inzwischen werden das Jugendcafé im Erdgeschoß, die Arbeitsräume für Nachhilfe und Seminare und die Freizeitangebote intensiv genutzt. Für Jugendliche, die "nicht mehr mit den Eltern können", Probleme in der Schule haben oder gar nicht mehr mit ihrem Leben klarkommen, ist das Jugendhaus oft die einzige Anlaufstelle. Bei den Sozialpädagoginnen Maud Ganzert und Kerstin Bauer, die derzeit als einzige fest bei der "Brücke" angestellt sind, finden sie für ihre Sorgen und Nöte stets ein offenes Ohr. Die Pädagoginnen bieten den Jugendlichen Beratung und Training für Bewerbungsgespräche an und geben Stützunterricht bei Lernschwierigkeiten. Großer Resonanz erfreuen sich auch die Frühabgängerseminare
Justizminister Kretschmer dankte den Initiatoren ausdrücklich für deren präventive Arbeit. Sie helfe auch der Justiz, daß sie nicht völlig überlastet werde. Von den Jugendlichen wurde vor allem die Perspektivlosigkeit hinsichtlich des Arbeitsmarktes beklagt. Aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die einfach nicht mehr fair sei, flüchteten sich viele in Resignation, ohnmächtige Wut und in Drogen. Vor allem Oberbürgermeister Manfred Ruge zeigte sich darüber, daß der Konsum von Drogen heute einfach hingenommen wird, entsetzt und betroffen. Die Jugendlichen berichteten, Drogen gehörten unter Jugendlichen in der Szene und in den Schulen zunehmend zur Alltagsrealität
Einigkeit bestand über die Notwendigkeit der "Erfurter Brücke". Einig war man sich auch darüber, daß durch die "Brücke" Jugendliche in Kontakt mit der Kirche kommen, der sonst nicht zustande käme. Insofern komme der Brücke eine Art "Schaufensterfunktion" für die Kirche zu
Ein Wermutstropfen allerdings blieb auch am Geburtstag: Bisher wurde die "Brücke" als "Projekt der offenen Jugendsozialarbeit" durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Diese Förderung läuft 1997 aus. Deshalb werden dringend Sponsoren gesucht
Wer die Erfurter Brücke finanziell unterstützen möchte, kann Kontakt mit der Leiterin des Projekts, Frau Maud Ganzert, aufnehmen bei "Erfurter Brücke" - arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit, Regierungsstraße 37, 99085 Erfurt, Tel. 03 61 / 5 61 38 05. Carsten Kießwetter
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.04.1997