Mit brennender Sorge
Vor 60 Jahren veröffentlichte Papst Pius XI. seine Enzyklika an die Deutschen
"Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen inmitten des Landes und des Volkes, dem St. Bonifatius einst die Licht- und Frohbotschaft von Christus und dem Reiche Gottes gebracht hat...
Es ist in diesen Tagen 60 Jahre her, daß Papst Pius XI. sich mit diesen Worten an alle deutschen Katholiken wandte. "Mit brennender Sorge" ist die erste und bisher einzige Enzyklika in deutscher Sprache. Lange hatten fünf deutsche Bischöfe und der Papst darum gerungen, in welcher Form und mit welchen Inhalten es klug und richtig sei, in aller Öffentlichkeit die Rechte der deutschen Katholiken gegenüber dem nationalsozialistischen Staat einzuklagen. Alle diplomatischen Bemühungen hatten nichts erbracht
Die deutschen Bischöfe baten deshalb auf ihrer Konferenz in Fulda im August 1936 den Papst um eine Enzyklika an die Deutschen. Der Papst entsprach diesem Wunsch, und das nicht zuletzt deshalb, weil zu seiner Amtszeit mit Deutschland 1933 ein Konkordat abgeschlossen worden war. Er fühlte sich in seinen Vorbehalten von damals bestätigt und berief sich gleich zu Beginn dieses "Briefes an die Deutschen" auf den vier Jahre alten Vertragstext und dessen Verletzung durch die Nationalsozialisten
"Wenn der von Uns in lauterer Absicht in die deutsche Erde gesenkte Friedensbaum nicht die Früchte gezeitigt hat, die Wir im Interesse Eures Volkes ersehnten, dann wird niemand in der weiten Welt, der Augen hat, zu sehen, und Ohren, zu hören, heute noch sagen können, die Schuld liege auf seiten der Kirche und ihres Oberhauptes. Der Anschauungsunterricht der vergangenen Jahre klärt die Verantwortlichkeiten. Er enthüllt Machenschaften, die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf... Wir sind, Ehrwürdige Brüder, nicht müde geworden, den verantwortlichen Lenkern der Geschicke Eures Landes die Folgen darzustellen, die aus dem Gewährenlassen oder gar aus der Begünstigung solcher Strömungen sich zwangsweise ergeben müßten. Wir haben alles getan, um die Heiligkeit des feierlich gegebenen Wortes, die Unverbrüchlichkeit der freiwillig eingegangenen Verpflichtungen zu verteidigen gegen Theorien und Praktiken, die - falls amtlich gebilligt - alles Vertrauen töten und jedes auch in Zukunft gegebene Wort innerlich entwerten müßten...
Diese Enzyklika vom Passionssonntag 1937 sollten sich alle diejenigen zu Gemüte führen, die es sich angewöhnt haben, die katholische Kirche anzuklagen, man habe damals nichts und zu wenig gegen den Nationalsozialismus unternommen. Natürlich blieb der Kirche keine andere Basis als die der geistig-geistlichen Auseinandersetzung mit dieser christusfeindlichen Ideologie. Sie nutzte aber auch alle Möglichkeiten, die den Konkordatspartnern offenstanden. Drei Bände umfaßten allein die Briefe zwischen 1934 und 1936, die Nuntius Pacelli, der spätere Pius XII., an die deutsche Seite in Berlin richtete. Und dabei war eine der ersten und wichtigsten Forderungen Pacellis, die Freiheit der Katholischen Presse. Später kamen alle Bereiche hinzu, in denen die Rechte einer freien Religionsausübung und grundsätzliche Menschenrechte verletzt wurden. Daß dies alles mit scheinbar leiser Stimme geschah, lag am Charakter diplomatischer Beziehungen, aber auch an der alles überdröhnenden nationalsozialistischen Propaganda. Wohl auch deshalb stellte Nuntius Pacelli allen deutschen Bischöfen seine Korrespondenz mit der Reichsregierung zu. Der Grat war schmal zwischen Einmischung in staatliche Angelegenheiten und dem Bestehen auf kirchlichen Belangen. Deshalb gilt für die Enzyklika "Mit brennender Sorge": "Die Enzyklika blieb ein geistliches Wort.... "Die Beschreibung, die das politische System Deutschlands in der Enzyklika fand, war zugleich seine Verurteilung. Es war vertragsbrüchig, kirchenfeindlich, verletzte Rechte und Menschenwürde, Freiheit der Religion und des Gewissens, vergötzte Rasse, Volk, Staat und Führer." (Heinrich Hürten, Deutsche Katholiken 1918-1945
Am 14. März 1937 unterschrieben, wurde der Brief bereits am darauffolgenden Sonntag in allen deutschen katholischen Kirchen verlesen. Viele Priester verschlossen ihn, um ganz sicher zu gehen, nach Erhalt im Tabernakel in der Kirche. Keiner der Priester hat sich geweigert, den recht langen Text zu verlesen. Die Berichte über die Wirkung der Enzyklika betonen den tiefen Eindruck, den die Verlesung bei den Zuhörern hinterließ
Die liberale Emigrantenzeitschrift "Das Neue Tagebuch" schrieb, die Enzyklika sei "bei weitem das Schärfste, was eine souveräne Instanz in Ausübung ihres Amtes über das Dritte Reich bisher öffentlich aussprach.
Nicht zufällig wurden aber noch zwei andere totalitäre Systeme in den gleichen Tagen angeprangert. In "Divini Redemptoris" klagte Pius XI. den leninistisch-stalinistischen Kommunismus an, unterschrieben am 19. März 1937, und am 28. März richtete sich der Papst an die Kirche in Mexiko (Firmissimam constanziam), die schwer unter ihren antichristlichen Machthabern zu leiden hatte. Diese drei Enzykliken zusammen waren das Kernstück der Lehramtlichen Aussagen gegenüber den totalitären Systemen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Es hat etwas Tragisches an sich, daß die deutsche Bischofskonferenz zwar von Rom klare Worte erwartete, selbst aber durch Uneinigkeit gelähmt war. Das betraf aber niemals die generelle Analyse, daß dieses Regime kirchenfeindlich war, sondern die sehr verschiedenen Vorstellungen, wie damit seelsorglich und öffentlich umzugehen sei. Jeder Vorschlag einzelner Bischöfe wurde von anderen nicht akzeptiert und damit wieder lahm gelegt. Die Angst, daß durch weitere Worte im Stil der Enzyklika "Mit brennender Sorge", der Haß der Nationalsozialisten ins Irrationale gesteigert werde, war allenthalben groß und nicht unberechtigt. Die Sittlichkeitsprozesse gegen Priester und Ordensleute gaben Anlaß zu schlimmen Befürchtungen. Es zeigte sich Haß gegen die Kirche auch in unteren Parteiorganisationen. Dies beweisen nicht nur die zahlreichen Kreuzfrevel dieser Zeit, sondern auch eine Vielzahl anderer Aktionen. An die Tür des Bischofs von Eichstätt schmierte man: "Schurken, schwarze Brut, Schweinehunde, Volksverhetzer, Römlinge.
"Hängt die Juden, stellt die Schwarzen an die Wand" - das war Repertoire nationalsozialistischer Hetze. Die Zeugnisse dieser Art ließen sich fortsetzen. Aber es waren ja nicht nur Worte. Über eintausend Priester und Ordensleute starben in Gefängnissen und im KZ. Zehntausende litten wegen ihres christlichen Bekenntnisses und wurden umgebracht. All das hatte 1937 bereits seinen Anfang genommen und wurde in den folgenden acht Jahren bittere Realität
Aus diesem Wissen und dunkler Ahnung heraus sagt Pius XI. zum Schluß seiner Enzyklika: "Jedes Wort dieses Sendschreibens haben Wir abgewogen auf der Waage der Wahrheit und zugleich der Liebe. Weder wollten Wir durch unzeitgemäßes Schweigen mitschuldig werden an der mangelnden Aufklärung, noch durch unnötige Strenge an der Herzensverhärtung irgend eines von denen, die Unserer Hirtenverantwortung unterstehen und denen Unsere Hirtenliebe deshalb nicht weniger gilt, weil sie zur Zeit Wege des Irrtums und des Fremdseins wandeln..." Eberhard Prause
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.04.1997