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Aus der Region

Auch unkonventionelle Dinge ausprobieren

Pfarrer Bernhard Dittrich zur "Pastoral 2000"

Dittrich Papst Johannes Paul II. hat die katholischen Christen zur bewußten Vorbereitung auf das Jahr 2000 aufgerufen. Im Bistum Dresden-Meißen laufen diese Vorbereitungen unter dem Motto "Pastoral 2000". Der Radebeuler Pfarrer Dr. Bernhard Ditt-rich koordiniert die Aktivitäten

Frage: Pastoral 2000 - was verbirgt sich dahinter

Dittrich: Zunächst geht es um Initiativen für eine christliche Gestaltung der Jahrtausendwende. Der Papst hat dazu aufgerufen, die Vorbereitung auf das Jahr 2000 mit der Gottesfrage in Verbindung zu bringen. Schließlich erinnern wir uns an diesem Datum an die Geburt Jesu vor 2000 Jahren. Diesen Termin dürfen wir nicht den Sekten oder der Tourismusbranche überlassen

Im Bistum Dresden-Meißen wollen wir darüber nachdenken, wie wir über die Grenzen unserer Gemeinden hinaus besser und stärker als bisher wirksam werden können. Wie können wir das Gemeindeleben so vertiefen, daß wir hoffen können, auch die suchenden Menschen in unserer atheistischen Umwelt zu erreichen

Frage: Welche Erfahrungen gibt es

Dittrich: Die besten Erfahrungen gibt es auf sozialem Gebiet. Die Hospizbewegung, offene Jugendsozialarbeit, Bahnhofsmissionen und anderes schaffen Begegnungsmöglichkeiten zwischen Kirche und Nichtchristen, die bis vor kurzem undenkbar waren. Im sozialen Engagement der Kirche gelingt es am besten, etwas von der Botschaft des Evangeliums zu verkünden

Eine andere Möglichkeit sehe ich in der Begegnung der Menschen mit der Kunst. Ich denke dabei an unsere bedeutenden Kirchen: die Hofkirche in Dresden, die Stiftskirche in Wechselburg und unsere Zisterzienserinnenklöster. Aber auch die Begegnung mit moderner Kunst bietet Ansätze, um über den christlichen Glauben ins Gespräch zu kommen

So ziemlich ratlos sind wir allerdings bei der Frage, wie wir unser traditionelles Gemeindeleben für Menschen, die sich für den Glauben interessieren, öffnen können

Frage: Nach der Wende hoffte mancher, daß die Kirchen wieder voll werden. Das Gegenteil ist eingetreten. Glauben Sie an die Möglichkeit einer Neuevangelisierung im Osten Deutschlands

Dittrich: Wir werden sicher keine Massenbewegungen in die Kirche hinein erleben. Es wird keine Massentaufen geben, und die Kirche wird auf absehbare Zeit in der absoluten Minderheit bleiben. Aber die Bereitschaft, sich mit der christlichen Botschaft auseinanderzusetzen, ist größer geworden. Ich stelle immer wieder fest, daß es gerade mit Leuten, die eine akademische Bildung haben, leichter ist, über Glaubensfragen ins Gespräch zu kommen. Das bedarf allerdings einer sehr persönlichen Gesprächsebene

Das Zweite Vatikanische Konzil spricht von einer gestuften Kirchenzugehörigkeit. Unsere Kerngemeinden sind unverzichtbar. Aber wir müssen auch die Verbindung mit Menschen suchen, die nur manchmal an unseren Veranstaltungen teilnehmen, die gelegentlich zum Gottesdienst kommen, die einen ganz losen Kontakt wollen oder vielleicht auch nur eine Frage haben. Hier müssen wir nach dem Verbindenden suchen und dürfen nicht von vornherein auf Distanz gehen oder gar ausgrenzen

Frage: Manchmal drängt sich der Eindruck auf, daß die Menschen schon ihre Fragen haben, die Kirche aber nicht als Antwortgeber in den Blick kommt. Da geht man dann schon eher in die Esoterikecke oder zu den Sekten

Dittrich: Diesen Eindruck kann ich nicht unbedingt teilen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie unsere kirchlichen Beratungsangebote genutzt werden, beispielsweise die Eheberatung. Natürlich stimmt es, daß die Sekten einen erheblichen Zulauf haben, allerdings auch erheblich weniger, als ursprünglich befürchtet worden war. Die Sekten haben wohl deshalb Erfolg, weil sie kurze, griffige Formeln für die Lebensgestaltung anbieten. Viele Leute werden mit der heutigen Kompliziertheit des Lebens nur schwer fertig. Sie suchen die Lösung bei Gruppen, bei denen das Leben klarer zu sein scheint. Das ist allerdings auf Dauer unmenschlich, weil darüber die Freiheit verloren geht

Frage: Kritiker sagen, das soziale Engagement sei viel zu breit und könne so gar keine christliche Arbeit mehr sein. Die Kirche sollte sich lieber auf sich selber konzentrieren, von innen erneuern, dann wird sie auch wieder attraktiver für Außenstehende..

Dittrich: Wenn die Apostel so gedacht hätten, dann würde das Christentum aus einigen Leuten in Jerusalem bestehen, die sich gegenseitig stützen und stärken und sich sagen, wie schön das Leben ist. Kirche hat aber eine Botschaft, die für alle Menschen gilt. Das Christentum ist kein Lehrsystem, sondern möchte den Menschen zu einer geglückten Lebensgestaltung helfen. Die Erfüllung menschlichen Lebens geschieht eben erst durch Gott, und diese Perspektive und Hoffnung darf die Kirche keinem Menschen vorenthalten. Und wenn Kirche die Möglichkeit hat - personell und finanziell - ihre Botschaft durch ihr soziales Wirken zu verkünden, dann muß sie das auch tun, ohne gleich Taufanmeldeformulare zu verteilen

Frage: In Erfurt hat jetzt ein Kaplan in einer Disco ein "Wort zum Sonntag" gesprochen (siehe Bericht Seite 15). Eine Ausnahme, denn sonst scheint es eher so, als habe die Kirche, hätten die einzelnen Christen zu wenig Phantasie, neue Formen der Verkündigung zu finden

Dittrich: Mir scheint unsere Arbeit manchmal tatsächlich in zu traditionellen Bahnen zu laufen. Wir müssen unkonventionelle Dinge probieren. Ein "Wort zum Sonntag" in der Disco finde ich gar nicht so schlecht. Wenn wir Jugendliche erreichen wollen, müssen wir zu ihnen gehen. Eine Grenze sehe ich allerdings dort, wo Kirche sich anbiedert, wo sie mit lechzender Zunge hin-terherläuft und sagt: Wir möchten auch noch mitmachen

Frage: Pastoral 2000 - und was kann der einzelne Christ tun

Dittrich: Ich wünsche mir, daß sich jeder Christ in Glaubensfragen kundig macht, daß er sein Glaubenswissen vertieft und lernt, sich auch in der Diskussion argumentativ mit dem Glauben auseinanderzusetzen. Wenn es mehr Wissen über den Glauben gibt, wächst auch der Mut über ihn zu sprechen. Und dann können wir auch mutiger unsere christlichen Werte einbringen und sie - wenn nötig - auch selbstbewußt verteidigen

Interview: Matthias Hollub

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 18 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 04.05.1997

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