Gemeindeleben neben der Glasschmelze
100 Jahre St.-Josef-Kirche Bernsdorf
Bernsdorf - Die katholische St. Josefskirche in Bernsdorf begeht am Pfingstmontag ihr 100jähriges Bestehen. Ihr äußeres Erscheinungsbild ist zwar weder strahlend noch prunkvoll, aber sie hat dennoch einiges vorzuweisen und braucht sich nicht zu verstecken. Zum einen ist es ihre schlichte, herb-schöne Innenarchitektur, zum anderen ihr unschätzbarer Wert als Kraftquell des Glaubens
Die Gemeinde will das Jubiläum zum Anlaß nehmen, sich dankbar an diejenigen zu erinnern, die sie gegründet, bis heute geführt und geleitet haben und an die vielen, die sie mitgestaltet haben. Die Idee, in Bernsdorf eine katholische Kirche zu bauen, ist Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht zufällig geboren worden. Zu dieser Zeit hatte sich bereits eine ansehnliche Zahl katholischer Arbeiter aus Böhmen, Bayern und Polen mit ihren Familien in Bernsdorf niedergelassen
Hier fanden sie vornehmlich in der Glasfabrikation Beschäftigung. Als katholische Gemeinde wurden sie von Kamenz und Wittichenau betreut. Gottesdienste und Religionsunterricht fanden in Wohnungen und später im Gasthofsaal statt
Umso erfreulicher war es für die Katholiken, als 1893 die Grundsteinlegung für eine eigene Schule mit Kirche erfolgte. Entscheidenden Anteil daran hatte das 1890 gegründete "Katholische Casino", dem neben dem Präses Pfarrer Krause und dem Vorsitzenden Friedrich Lehmann sechs weitere Mitglieder angehörten. Dieses Gremium erwirkte beim Fürstbischof von Breslau die Baugenehmigung und Finanzierung. Zuvor mußte jedoch zwei Jahre lang um das ins Auge gefaßte Grundstück, nahe einer seit 1891 produzierenden Glasschmelze (Wanne I) gerungen werden
Daß an diesem Grundstück festgehalten wurde, lag wohl auch an den günstigen Bodenpreisen von 22 Mark je Quadratmeter. Vorbehalte und Berührungsängste zur industriellen Nachbarschaft hat es anfangs offenbar nicht gegeben. Nach zweijähriger Bauzeit ist unter Leitung des Maurermeisters Emil Müller 1895 der Schul- und Kirchenneubau fertiggestellt worden. Noch im selben Jahr fing mit 68 Kindern der Schulbetrieb an. Erst am 18. Mai 1897 konnte der Laubaner Prälat Probst Amter die Kirche feierlich einweihen
Auf die amtliche Bestätigung der Pfarrstelle, der weitere 26 Ortschaften zugeordnet wurden, mußte die Gemeinde mehr als vier Jahre warten. In dieser Zeit bis 1901 ist Kaplan Franz Sieber die Leitung der noch nicht genehmigten Pfarrstelle übertragen worden. Sein Nachfolger, Pfarrer Berthold Pohl, leitete die Gemeinde 33 Jahre lang. Mit erstaunlichem und selbstlosem Eifer hielt er guten Kontakt zu den Katholiken seines "Mammutbereiches" - und das häufig mit dem Fahrrad
Pfarrer Guido Matuszek, dem 1934 die Gemeinde anvertraut wurde, erlebte noch im gleichen Jahr die Schließung der Schule durch die Nazis. Während des Zweiten Weltkriegs widmete er sich der Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterseelsorge und half auch mit, am Ende des Krieges die öffentliche Ordnung wiederherzustellen
Von nicht geringer Bedeutung für die Bernsdorfer Kirche war das Jahr 1962. Pfarrer Matuszek trug den damaligen Reformbestrebungen der Kirche Rechnung und ließ das Innere der Kirche umgestalten. An Stelle des hölzernen Hochaltares trat zum Beispiel ein Sandsteinaltar, nach Entwürfen des Dresdner Architekten Körner gefertigt. Dahinter überragt ein großes Holzkreuz an der jetzt geschlossenen Wand des vormals bunten Mittelfensters den Altar. Die weißen Wände und Decken in Verbindung mit den 14 langgezogenen Fenstern verleihen der Kirche seither ein helles und freundliches Aussehen
1972 löste der heute noch amtierende Pfarrer Paul Christoph seinen Vorgänger Pfarrer Matuszek nach 38jähriger Tätigkeit ab. Von Anfang an war er um die Erhaltung und Modernisierung des baulichen Zustandes von Kirche und Pfarrhaus bemüht. In seiner "Amtszeit" wurde das bis dahin unproblematische Nebeneinander zwischen Kirche und Glasbetrieb zeitweilig auf eine harte Probe gestellt
1972 bis 1975 kam es zu ersten "Scharmützeln" mit dem damaligen VEB Ankerglas. Der Betrieb erhob Anspruch auf Teile der kircheneigenen Flur- und Ackerstücke für die Errichtung einer Sozialbaracke und den Bau einer Heiztrasse
Nach zähen Verhandlungen mußte sich die Kirche dem Druck des Betriebes beugen und die geforderten Bodenanteile abgeben. Darüber hinaus führten Lärm und Schadstoffbelastungen zu zeitweiligen Spannungen
Für Aufregung sorgte dann nochmals nach der Wende die Gerresheimer Glas AG in den Jahren 1991/92
Diesmal sollte das gesamte Kirchengelände einschließlich Kirche gegen eine Entschädigung von 7 Millionen Mark dem Betrieb geopfert werden. Der hatte gute Argumente: den Erhalt von 200 Arbeitsplätzen. Nach einigen Monaten ließ der Betrieb seine Pläne aber wieder fallen, so daß die "alte" Kirche beruhigt ihrem 100. Geburtstag entgegensehen kann
Heute gehören zur katholischen Pfarrgemeinde etwa 600 Gläubige, davon sind 200 regelmäßige Gottesdienstbesucher
Eines breiten Zuspruchs erfreuen sich die jährlichen Gemeindefeste, das ökumenische Adventssingen und die Krippenspiele der Jugend. Der Kirchenchor und die Kolpingsfamilie sind "Markenzeichen" der Pfarrei. Chorgesang und Kirchenmusik sind besonders seit 1945 gepflegt worden
Ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk besonderer Art an die "100jährige" war die feierliche Inbetriebnahme und Weihe der restaurierten Orgel im Dezember 1996 durch Bischof Rudolf Müller. Die Spendenbereitschaft vieler Gemeindemitglieder machte es möglich, die Restaurierungskosten von rund 90 000 Mark fast ausschließlich durch eigene Mittel zu decken
Die Gemeinde lädt am 19. Mai um 9 Uhr zum Festgottesdienst und anschließendem Zusammensein in die Josefskirche ein. Triduumsandachten finden am 16. Mai um 19 Uhr, am 17. und 18. Mai jeweils um 17 Uhr statt. Hans Fischer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.05.1997