Aus Angst auf Rechte verzichtet
Ostdeutsche Caritas und Diakonie zur Studie "Menschen im Schatten"
Dresden / Erfurt / Magdeburg (tdh) - In der Studie "Menschen im Schatten" - eine Analyse der Lebenslage in Ostdeutschland - warnen Caritas und Diakonie davor, weiter auf Kosten der ohnehin Benachteiligten zu sparen und damit weitere Gruppen an den Rand des Existenzminimums zu drängen
Am 14. Mai stellten sie die Studie bei Pressekonferenzen in Dresden, Erfurt und Magdeburg der Öffentlichkeit vor. In Magdeburg eröffnete der Caritasdirektor Günther Brozek mit den Worten: Die Einzigartigkeit dieser Untersuchung bestehe darin, daß hier die "bislang größte Stichprobe unterer sozialer Schichten in den neuen Bundesländern gezogen worden ist"
Eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie: Weit mehr Menschen als angenommen leben in verdeckter Armut: Allein in Ostdeutschland sind es rund 577 000. Auf zehn Sozialhilfeempfänger kämen 17 Menschen, die von ihrem Anspruch auf Unterstützung keinen Gebrauch machten. 60 Prozent dieser Personen seien jünger als 40 Jahre. "Keine Studie hat so deutlich die negativen Auswirkungen des Einigungsprozesses gezeigt", stellte der Erfurter Caritas-Direktor Bruno Heller fest
Neben den Analysen und Ergebnissen, suchten die Vertreter von Caritas und Diakonie auch nach Lösungen. So forderte der Direktor des Diakonischen Werkes der Kirchenprovinz Sachsen, Reinhard Turre, die Bundesregierung auf, die sozialen Sicherungssysteme "armutsfest" zu machen. "Dazu müssen sie von den sogenannten versicherungsfremden Leistungen befreit werden", sagte er in Magdeburg
Der Dessauer Landespfarrer für Diakonie, Andreas Lischke, verdeutlichte die Lage in Sachsen-Anhalt: Das Land stehe im Vergleich mit den anderen neuen Bundesländern an "letzter Stelle". Hier kämen auf einen Sozialhilfeempfänger fast zwei Menschen, die keine Hilfe zum Lebensunterhalt in Anspruch nehmen, obwohl sie dazu berechtigt sind. Ein Drittel der Befragten empfinde den Gang zum Sozialamt als unangenehm und beschämend, so die Feststellung der Hilfswerke in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Der Geschäftsführer der sächsischen Diakonie, Friedhelm Fürst, forderte die Behörden auf, den Hilfsbedürftigen durch mehr Freundlichkeit und weniger Bürokratie die Hemmungen zu nehmen. Die Tatsache, daß sich fast drei Viertel der Betroffenen durch Ämter und Behörden über ihre Rechte und Pflichten nicht gut informiert sehen, erfordere eine dringende Aufklärung
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.05.1997