Unterschätzen Sie sich nicht!
Ministerpräsident ermutigt Christen
Erfurt - Die Pastoralkonferenzen in Erfurt und Heiligenstadt sind immer ein Gewinn und die Referenten meist hochkarätig. Daß Steigerungen immer noch möglich sind, bewies die letzte Konferenz Anfang Mai in der Brunnenkirche am Fischersand in Erfurt. Kein geringerer Referent als der thüringische Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel (CDU) trug zum Thema: "Die Kirche in Thüringen aus der Sicht eines Politikers" vor und stellte sich anschließend den Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Der thüringische Landesvater sparte nicht mit Lob über das gesellschaftliche Engagement der evangelischen und katholischen Christinnen und Christen. "Es ist vorbildlich, wie gestandene christliche Frauen und Männer in der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik im Freistaat Thüringen ihren Mann stehen", betonte Dr. Vogel mehrfach
Er sei über die Lebendigkeit der kleinen katholischen Herde und die Frische, die deren Diasporageist habe, außeror-dentlich froh. "Unterschätzen Sie sich nicht! Die Autorität der kleinen katholischen Gruppen geht weit über ihre nominelle Zahl hinaus", rief er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu. Die Verkündigung der Frohen Botschaft sei der eigentliche Träger dieser Autorität
Auf den Stand der Verhandlungen zum Staats-Kirchen-Vertrag angesprochen, bekannte Dr. Vogel, daß er als Ministerpräsident des Freistaates Thüringen glücklich sei, daß es jetzt auch in Ostdeutschland Religionsfreiheit gibt. Denn eine der Früchte der Wende sei die Freiheit und eine der Früchte der Freiheit, dies sei nun einmal die Religionsfreiheit. Deshalb sei er auch dankbar, daß das Verhältnis von Staat und Kirche nunmehr im neu entstandenen Freistaat Thüringen auf solide Grundlagen gestellt werde. "Mich persönlich freut, daß ich vor der Wende mit aller Vehemenz gegen die Errichtung eigener ostdeutscher Bistümer gekämpft habe, wie ich jetzt für die Errichtung der ostdeutschen Bistümer kämpfe.", bekannte der Politiker. Auf die Frage: "Warum es erst jetzt zur Unterzeichnung des Staatsvertrages komme?", antwortete der Ministerpräsident: "Wer Rom am Verhandlungstisch hat, der hat halt auch längere Wege zu bewältigen.
Professor Konrad Feiereis hielt das Geistliche Wort zur Pastoralkonferenz. Er sieht trotz einer zunehmenden "Entchristlichung der Gesellschaft", in der der Glaube scheinbar entbehrlich zu werden scheint, große Chancen und Aufgaben für die Kirche und das Christsein. Die Sinnkrise und der Sinnverlust der modernen Gesellschaft machten die existentielle Krise unserer Zeit aus. "Wer, wenn nicht der Christ, kann die religiöse Dimension der Sinnfrage erschließen?" fragte deshalb Professor Feiereis
Da Christentum und Kirche im abendländischen Kulturkreis stets zu dessen eigener Tradition und Geschichte gehören würden, liege deren Weg nicht im Exodus aus der Zivilisation, sondern in der Hinwendung zum konkreten Menschen. Gleiches gelte für dessen Wertebegründung und Werteordnung. Eine Gesellschaft ohne die Ideale der Bergpredigt und ohne das Beispiel des Samariters verarme nicht nur, sondern sei auf dem Weg zu einer Wolfsgesellschaft. In den christlichen Schulen, in der christlichen Bildungs- und Caritasarbeit könne man noch mit Händen greifen, daß christliches Denken und Verhalten als Alternative zur erfahrenen Egozentrik respektiert und akzeptiert werde. Hier würde gelebter Glaube von den Außenstehenden zeichenhaft erahnt. Carsten Kießwetter
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.05.1997