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Bistum Dresden-Meißen

Chance gegen moralischen Absturz

Pädagogik-Kolloquium zur Wertevermittlung

Dresden - Zu einem Kolloquium über Wertorientierungen hatte das Leipziger Bildungswerk der Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung eingeladen. Unter dem Motto "Politik in Verantwortung vor Gott und den Menschen" war im Dresdner Kulturrathaus vor allem ein Programmpunkt interessant: "Pädagogik als Chance gegen den moralischen Absturz. Brauchen wir einen Prozeß der Gewissensbildung?" hieß es

Zur Diskussion hatte sich eine bunte Expertenmischung eingefunden. Unter anderem Pädagogikprofessor Dr. Aloysius Regenbrecht aus Münster, Buch- und Zeitschriftenautorin Gabriele Münnix aus Essen sowie der Chef des Benno-Gymnasiums, Pater Friedo Pflüger, trugen ihre Thesen für eine bessere Wertevermittlung bei Jugendlichen vor. Professor Regenbrecht stellte zu Beginn die Frage, ob Tugend überhaupt als Wissen gelehrt werden könne, oder ob nicht vielmehr tugendvolles Handeln eingeübt werden müsse. Er unterschied das schlichte "kognitive Lernen", das Kennen von Werten und Begründungen, vom "motivationalen" Lernen - dem Wunsch, die Werte auch zu befolgen. Die Wissensvermittlung dürfe nicht im Vordergrund stehen, entscheidend sei die Urteilsfähigkeit der Jugendlichen, so Regenbrecht: "Man muß auch lernen, gute Musik zu hören, um sie als wertvoll empfinden zu können." Jede Generation müsse sich die traditionellen Wertvorstellungen wieder neu erschließen und kritisch hinterfragen

Allerdings sah der Pädagogikprofessor auch die Grenzen der Möglichkeiten von Schule: Wichtige Werte-Erfahrungen machten Jugendliche vor allem auch außerhalb des Unterrichts in persönlichen Begegnungen, auf Rockkonzerten und anderswo. Deswegen dürften sich Eltern auch nicht zu sehr auf die Schule verlassen. "Alle Erziehungsträger müssen ihren Beitrag leisten", forderte Regenbrecht

Ähnliche Thesen vertrat Gabriele Münnix, die ein "ganzheitliches Konzept der Werteerziehung" vorstellte. Auch für sie stand fest: Werte kann man nicht einfach dogmatisch vortragen, die Schüler müssen sie erarbeiten. Dabei müsse "kritische Rationalität" geweckt sowie eine "emotionale Bildung" betrieben werden. Grundlage für diese Wertevermittlung könnten die Prinzipien Immanuel Kants sein. Jugendliche müßten vor allem selber nachdenken, besonders über die Folgen des eigenen Handelns und Nichthandelns. Gerade bei der heutigen Werbe- und Informationsflut sei natürlich die Bereitschaft vorausgesetzt, die Bequemlichkeit des Nicht-Denkens zu überwinden. Ferner sei Grundlage jeder Gewissensbildung, daß man sich jederzeit in jeden anderen Menschen hineindenken könne und wolle. Schließlich müsse man mit sich einstimmig denken, die innere Glaubwürdigkeit behalten. Damit diese elementaren Ziele verwirklicht werden können, plädiert Gabriele Münnix für eine neue Gesprächskultur an den Schulen. Lehrer müßten ernsthafte Gesprächspartner werden, damit die innere Bindung an Werte auch freiwillig und aus Einsicht geschehe. "Schließlich kommt dann die Entdeckung der Kinder, daß gar nicht alles relativ ist und bestimmte Werte doch sinnvoll sind", beschrieb Gabriele Münnix den Erfolg dieses Konzepts

Pater Friedo Pflüger, Leiter des Dresdner Bennogymnasiums, stellte sich und den Anwesenden zunächst drei Fragen. "Wie können Erwachsene, die sich selbst schwer mit Wertanerkennung tun, Kinder erziehen? Wie können wir, die hilflos vor der Zukunft stehen, Kindern Werte für die Zukunft vermitteln? Und wie können Kirchen dies tun, wenn sie sich nur um ihr eigenes Wohl kümmern; in konfessioneller Gespaltenheit, die man rational nur noch mit größter Spitzfindigkeit begründen kann?" Aus den negativen Entwicklungen in der Gesellschaft bezog Rektor Pflüger die Aufgaben für seine Arbeit. Die zunehmende Auflösung von Familie, allgegenwärtige persönliche Vorteilnahme, sofortige Bedürfnisbefriedigung, keine Übernahme von Verantwortung - "hier muß Schule ansetzen, hier hat gerade die christliche Schule etwas zu bieten", war sein Appell. Viel zu lange seien Kinder und Jugendliche nur ausgebildet worden - man habe sie aber mit den wesentlichen Fragen alleingelassen. Zwar sei es Aufgabe aller Schulen, eine umfassende Bildung des ganzen Menschen zu bieten und Entscheidungsfähigkeit, Selbstvertrauen, Verantwortungsfreude und Einsatz für andere zu fördern

Allerdings habe eine christliche Schule hier noch bessere Voraussetzungen. "Diese Aufgabe kann nur ökumenisch bewältigt werden", so der Pater. Am Ende schien prinzipiell Einigkeit über das Notwendige zu herrschen. Eine Frage stand jedoch noch im Raum: "Wie sagen wir das alles nur unseren Schulpolitikern?

Christian Saadhoff

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 22 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 01.06.1997

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