Schwanger mit einer neuen Welt
Jugendwallfahrt des Bistums Görlitz
Neuzelle (mh) - Die Freude und die Begeisterung stand den meisten der gut 600 jungen Leute am Sonntagmorgen beim Wallfahrtsgottesdienst in der Neuzeller Stiftskirche regelrecht ins Gesicht geschrieben. Sie lachten, klatschten und sangen mit. Und es fiel gar nicht auf, daß der Gottesdienst - Höhepunkt der diesjährigen Jugendwallfahrt im Bistum Görlitz - über zwei Stunden dauerte. Wesentlichen Anteil daran hatte die Wallfahrtsband, in der Jugendliche aus dem ganzen Bistum mitwirkten. Aber auch sonst gab es einiges, was nicht so war, wie halt in einem "normalen Gottesdienst": angefangen von der Tauferneuerung, bei der sich die Jugendlichen gegenseitig ein Kreuz mit Weihwasser auf die Stirn zeichneten, über einen Tanz nach dem Evangelium bis zu den kleinen Wasserkrügen, die am Ende des Gottesdienstes als Erinnerung verteilt wurden
Darüber, daß die Wallfahrt zu einem Fest des Glaubens geworden ist, freut sich der Görlitzer Diözesanjugendseelsorger Sebastian Schmidt. Und er ist froh, "daß es uns gelungen ist, das Thema an verschiedenen Punkten der Wallfahrt den Jugendlichen zum Nachdenken anzubieten, ohne daß wir gleich eine fertige Antwort mitgeliefert hätten. Die Mehrzahl hat sich darauf eingelassen.
Dabei war das Thema nicht einfach: "Schwanger mit einer neuen Welt - gegen das Geschwätz der Menge". Bewußt wollten Veranstalter und Vorbereitungsteam der Wallfahrt den Blick der jungen Leute auf Maria richten. Die ersten Jugendwallfahrten, die nach dem Krieg nach Neuzelle geführt hatten, waren Marienwallfahrten. In den vergangenen Jahren sei Maria ein bißchen ins Hintertreffen geraten, meint Sebastian Schmidt
"Schwanger mit einer neuen Welt - gegen das Geschwätz der Menge" - dieses Thema klingt nicht nur ungewöhnlich und provokativ, es sollte auch helfen, den Jugendlichen Maria so zu zeigen, daß sie merken: Das hat etwas mit ihrem Leben zu tun. "Wer sich näher mit Marias Lebenslauf beschäftigt, der wird merken: Maria hatte Probleme, Sorgen und Freuden, die uns ziemlich bekannt vorkommen. Stellt euch vor: Sie ist sehr jung und wird Mutter eines Kindes. Die Leute schwätzen über sie. Wie soll sie anderen das große Geheimnis erklären, das jeder für eine Ausrede hält", hatte das Vorbereitungsteam im Einladungsbrief zur Wallfahrt geschrieben
Die Eröffnung der Wallfahrt in der Gubener Pfarrkirche diente deshalb dazu, die Erfahrungen der jungen Leute mit dem Thema zu verbinden. In das leicht abgewandelte Märchen "Der selbstsüchtige Riese" von Oscar Wilde wurden Szenen aus dem Leben junger Leute eingebaut. Das Märchen erzählt von einem Riesen, der eines Tages den Kindern verbietet, in seinem Garten zu spielen. Kälte breitet sich im Garten des Riesen aus, der Frühling geht an ihm vorbei, bis die Kinder plötzlich wieder im Garten sind, der Frühling wiederkommt und mit ihm die Vögel und blühenden Blumen. Dazwischen kurze Stücke, die Erfahrungen junger Leute zeigten: von der Gruppe, in der sie sich wohlfühlen, von einer Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen und ihrem Pfarrer bis hin zur Erfahrung enttäuschter Liebe. Am Ende hoben zwei Kinder ein schwarzes Tuch vom Boden der Kirche und bunte Luftballons schwebten durch das Kirchenschiff: ein Bild, daß neues Leben möglich wird, gegen die Bilder der Kälte, des Todes und des Sterbens
Wie bereits seit einigen Jahren üblich, schloß sich der Wallfahrtsweg von Guben nach Neuzelle an. Am Abend erlebten die Wallfahrer das Musical "Ave Eva" in der evangelischen Kirche von Neuzelle, dargeboten von der Gruppe "Jonathan". Das Vorbereitungsteam hatte dieses Musical ausgesucht, weil die Texte von Wilhelm Willms an vielen Stellen eine moderne und zugleich doch alte und vertraute Sicht auf Maria bieten
Auf dieses Musical bezog sich Bischof Rudolf Müller bei seiner Predigt am Sonntagmorgen. Es zeige, was da alles auf das einfache Mädchen eingebrochen sei. Maria habe erfahren: "Das Leben ist kein Zuckerschlecken." Und doch habe sie auch das Magnifikat angestimmt. "Wenn Gott uns anschaut, ist das zugleich die Frage: Welche Antwort gibst du mir?", so Bischof Müller. Gott wolle nicht nur den kleinen Finger, sondern die ganze Hand
In den Fürbitten beteten die Wallfahrer darum, nicht mutlos zu werden und zu resignieren, wenn es um eine gerechtere Welt und die Bewahrung der Schöpfung geht. Sie beteten darum, daß sie Menschen finden, die ihnen in dem Gefühl der Sinnlosigkeit und Ohnmacht helfen, wenn sie die Erfahrung machen, daß ihnen eben nicht alle Türen offen stehen und sie etwa keine Lehrstelle finden. Sie beteten für die, die in der Familie nicht das Gefühl der Geborgenheit erlebt haben und für die, die sich dafür entschieden haben, ein Kind zur Welt zu bringen. Ein konkretes Zeichen setzten sie mit der Kollekte: Das Geld ist für den Bischöflichen Fond "Mütter in Not" bestimmt
Am Ende des Gottesdienstes segnete Bischof Müller einen neuen Mantel für die Muttergottesfigur in der Stiftskirche, den Jugendliche aus dem ganzen Bistum gestaltet haben. Vor 48 Jahren hatten Jugendliche aus dem Bistum bereits zum ersten Mal einen Mantel für die Muttergottesfigur bestickt
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 01.06.1997