Kirche im kulturellen Wettbewerb
Theologische Woche in Erfurt
Erfurt - Auch die Kirche muß sich dem Wettbewerb in der Gesellschaft stellen. Gerade dies kann zur Chance für eine lebendige Verkündigung des Evangeliums werden. Mit dieser Auffassung konfrontierte der Erfurter katholische Sozialethiker Michael Schramm die Teilnehmer der Theologischen Woche 1997 in Erfurt. Schramm ermutigte dazu, die moderne Gesellschaft "bei allen auch problematischen Schieflagen" als "eine kulturelle Errungenschaft ersten Ranges" zu akzeptieren. Auch wenn die Kirchen "wettbewerbsfreier Raum" seien, in dem sich Menschen ohne Konkurrenz als Personen begegnen und entfalten können, sollten sie sich mutig dem Wettbewerb mit ähnlichen Anbietern stellen
Die Theologische Woche 1997, zu der das Philosophisch-Theologische Studium Erfurt wieder einmal eingeladen hatte (zuletzt 1992), stand unter dem Thema "Christentum und Kultur - ein gestörtes Verhältnis?" Gekommen waren knapp 100 Priester, Gemeindereferentinnen und pastorale Mitarbeiter
Daß es zwischen Christentum und Kultur durchaus ein gestörtes Verhältnis gibt, zeigte auch der Erfurter Moraltheologe Josef Römelt auf, der über das Thema "Kultur des Todes - Kultur des Lebens" sprach. So werde zum Beispiel am Umgang mit werdendem Leben im Mutterleib deutlich, daß die moderne Gesellschaft Tendenzen einer Kultur des Todes in sich trägt. Ausdruck christlicher Humanität sei es stets gewesen, menschliches Leben auch in seinen Krisensituationen zu achten, so Römelt. Die moderne Kultur hingegen habe das Bestreben, Endlichkeit und Leid zu verdrängen, etwa, wenn behindertes Leben gar nicht erst zur Welt kommen soll oder wenn Menschen ihr von schwerem Leid geprägtes Leben selbst beenden. Die heutige Gesellschaft befinde sich damit in einem Widerspruch mit sich selbst, wenn sie um einer Kultur der Freiheit willen die Integrität des Lebens opfere. Josef Römelt plädierte auf diesem Hintergrund für das Gespräch zwischen moderner Kultur und Glauben in der Ethik. Die Kirche könne der Gesellschaft helfen, eine "Kultur der Endlichkeit und der Akzeptanz des Leids" zu entwickeln
"Zwischen allen Stühlen" sieht Lothar Ullrich die Kirche, wenn sie ihrem Auftrag gerecht werden will. Der Erfurter Dogmatiker zeigte an Hand der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils den Willen und das Interesse der Kirche auf, die Zeichen der Zeit wahrzunehmen, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen und in ihrem Kontext das Evangelium zu verkünden. Kriterium bei der Suche nach der jeweils angemessen christlichen Position zu Fragen der Gesellschaft müsse das richtige Verhältnis zwischen selbstverantwortetem Tun und einem Sich-Verwiesen-Wissen auf Gott sein. Der Erfurter Pastoraltheologe Franz Georg Friemel zeigte auf, daß es zum Volk Gottes gehört, den Glauben immer wieder neu zu buchstabieren und umzulernen. Über das Verhältnis zwischen Kirche und Kunst sprach der Inhaber des Münchener Lehrstuhls für christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie, Hans Maier. Der Soziologe Michael Zöller von den Universitäten Bayreuth und Erfurt bestritt in seinem Beitrag eine stete Höherentwicklung der Kultur im Sinne einer Evolution. Stattdessen konkurrierten verschiedene Kulturprinzipien
Inwieweit der einzelne und die Gesellschaft Sinn und Orientierung im Leben finden können, hängt wesentlich davon ab, ob sie mit Werten, Weltdeutungen, Religion und Glaube in Berührung stehen. Dieser Auffassung sind etliche renomierte Philosophen, Psychologen, Publizisten und Erziehungswissenschaftler der Gegenwart, wie der Erfurter Philosoph Konrad Feiereis aufzeigte. Unter dem Thema "Orientierung in der Orientierungslosigkeit" stellte er die Frage, "ob Sinnfindung ohne "religio", also ohne eine Bindung an eine Normen und Werte vermittelnde Anschauung von Welt und Menschen, möglich sein kann oder auf Dauer scheitern muß"
Weil Kirche und Theologie in der Lage sind, immer wieder "Zirkel der Sinnstiftung" zu ini-tiieren und zu pflegen, möchte der Rektor der wiedergegründeten Universität Erfurt, Peter Glotz, die Theologie als Fakultät an seiner Uni wissen. Glotz sprach bei einer abschließenden Podiumsdiskussion. Solche "Zirkel", in denen nach dem Sinn und Ziel des Menschen gefragt werde, habe die moderne Gesellschaft für ihren Zusammenhalt dringend nötig. "Sonst endet diese Gesellschaft in Aggression wie in Amerika." Von einer theologischen Fakultät erhofft sich Glotz auch Impulse für eine wieder zu entwickelnde Streitkultur der Fakultäten überhaupt
Positionen, die nicht zuletzt die Professoren des Philosophisch-Theologischen Studiums dankbar zur Kenntnis nehmen: Ihnen geht es auch auf dem Hintergrund der Erfahrungen der Isolation der katholischen Theologie zu DDR-Zeiten um deren Integration an der Universität und damit um den regen Austausch mit anderen Wissenschaften und der Kultur. Dies machte auch der derzeitige Rektor der Hochschule, der Kirchenhistoriker Gerhard Feige, in seinem Begrüßungswort deutlich
In den Diskussionen blieben trotz vielfältiger aufgezeigter Aspekte dennoch - wie sollte es auch anders sein - viele Fragen offen. Einen Medienfachmann im Zeitalter der Medien für die Woche zu gewinnen, war nicht gelungen, hieß es. Ebenso hätte wohl auch die Perspektive eines Politikers Not getan. Für alle Teilnehmer bot die Theologische Woche 1997 dennoch vielfältige Anregung zum Weiterdenken über das Miteinander von Christentum und Kultur. E. Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 08.06.1997