Auftakt im Hygiene-Museum Dresden
Woche für das Leben
Dresden (mh) - Strahlende Augen, lachende Gesichter. Die Jungen und Mädchen des Vereins "Sonnenuhr" aus Berlin, springen in die Luft, verbeugen sich und genießen ihren Applaus. "Maskenspiel und Kinderzirkus" hatten sie aufgeführt. Das Klatschen des Publikums im Kongreßsaal des Dresdner Hygienemuseums war der Lohn für ihre Mühe. Das Besondere: Zum Verein "Sonnenuhr" gehören Menschen mit und ohne Behinderung. Eines besseren Beweises, daß Menschen mit Behinderung genauso glücklich (oder unglücklich) leben können wie Menschen ohne Behinderung, hätte es wohl nicht bedurft. Und damit war man mitten im Thema. Das Theaterstück war einer der Programmpunkte des Aktionstages, der zum Auftakt der "Woche für das Leben" im Dresdner Hygienemuseum stattfand
Die "Woche für das Leben" unter dem Thema "Jedes Kind ist l(i)ebenswert - Leben annehmen statt auswählen" beschäftigte sich mit Fragen der pränatalen Diagnostik. Eine damit in Verbindung stehende Frage ist die nach der Annahme eines Kindes, von dem die Mutter oder die Eltern vor der Geburt durch eine derartige Untersuchung erfahren, daß es behindert sein wird
Vor dem Mißbrauch der vorgeburtlichen Diagnostik warnte in diesem Zusammenhang Sachsens Sozialminister Hans Geisler (CDU). Die Entscheidung für ein Kind dürfe nicht von den Ergebnissen der Diagnose abhängig gemacht werden, sagte er bei der Veranstaltung. Der Mensch stehe heute an der Schwelle, selbst zum "Macher des Lebens" zu werden. Es gehe nicht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse zu verhindern, sondern zu verantworten. "Ja zum Leben heißt, nicht alles zu tun, was möglich ist.
Der Dresdner Ordinariatsrat Lothar Vierhock betonte: "Wir brauchen eine Gesellschaft, in der Solidarität und Gerechtigkeit herrschen." Es gebe Grenzen die der Mensch akzeptieren müsse. Die perfekte Welt, eine Welt, in der keine Behinderung mehr vorkomme, sei eine Illusion. Vierhock forderte dazu auf, die Erfahrung des Reichtums des Lebens mit Behinderten der Gesellschaft nicht vorzuenthalten. Der evangelische Oberlandeskirchenrat Dieter Auerbach forderte, den Familien und werdenden Müttern, die ein behindertes Kind erwarten, verstärkt durch Beratung beizustehen
Daß die pränatale Diagnostik schon fast zum Alltag gehört, darauf verwies der Direktor des Hygienemuseums, Klaus Vogel: Werdende Väter zeigten heute während der Frühstückspause ihren Kollegen die Ultraschallbilder ihrer Kinder. Allerdings wies Vogel auch auf lebensfeindliche Tendenzen in der Gesellschaft hin: Wie solle ein behindertes Kind angenommen und geliebt werden, wenn es heute als chic gelte, mindestens zwölf Stunden in der Arbeitswelt zu verbringen? Ärzte machten die Erfahrung, daß bei bevorstehendem Sommerurlaub die Neigung der Angehörigen zunehme, die Beatmungsgeräte für Schwerkranke abzustellen
Die Woche für das Leben wurde in Sachsen zum zweiten Mal mit einem Aktionstag im Hygienemuseum eröffnet. Direktor Vogel sprach von einem "Versuch, der sich schon bewährt hat". Neben Vorträgen und Diskussionen zu Fragen der pränatalen Diagnostik stellten 26 Vereine, Initiativen und Selbsthilfegruppen ihre Arbeit vor. Außerdem wurde Technik und Spielzeug für behinderte Kinder präsentiert und der Einsatz der Ultraschalldiagnostik während der Schwangerschaft erläutert
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 08.06.1997