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Aus der Region

Ehe als Kraftquell für die Kirche

Marriage Encounter - Proträt einer neueren geistlichen Gemeinschaft

Wenn ich soviel Zeit aufwende, um unser Haus in Ordnung zu halten, soviel Zeit für Wäsche- und Körperpflege, warum sollte ich dann nicht auch Zeit einsetzen, um Beziehungen zu pflegen? Sieglinde Haubner ist mit ihrem Mann Peter vor gut zehn Jahren erstmals einer Einladung der Marriage-Encounter-Gemeinschaft (ME) zu einem Wochenende der Begegnung für Ehepaare gefolgt. Seither sieht sie ihre Ehe und ihre Beziehungen zu anderen Menschen in einem veränderten Licht

"Nach acht Jahren Ehe waren wir plötzlich wieder wie frisch verliebt," sagt die Chemnitzerin im Rückblick auf ihr erstes ME-Wochenende in Magdeburg. Dabei verliefen die gemeinsamen Tage eigentlich ganz unspektakulär: Drei Ehepaare erzählten den anderen Teilnehmern von ihren Bemühungen, ihre Liebe im Alltag lebendig zu halten: Wie sie versuchen, dem anderen mit ganzem Herzen zuzuhören und mit vorschnellen Urteilen hinter dem Berg zu halten, wie sie den Partner in seiner Andersartigkeit immer wieder als Geschenk entdecken. Ein Priester berichtete über seine Gemeinschaft mit Ehepaaren, die auf diese Weise leben. Daneben blieb allen Paaren viel Zeit für Gespräche unter vier Augen

Vorher hatten die Haubners es für unabänderlich gehalten, daß sich in eine Ehe im Laufe der Jahre eine gewisse Routine einschleicht, daß Gespräche kürzer werden und sich mehr und mehr um die Organisation des Alltags drehen, daß Alltagsstreitigkeiten Verletzungen zurücklassen. Die Begegnung mit Paaren, die genauso unterschiedlich waren wie sie beide, deren Beziehung aber vor Lebendigkeit sprühte, war für die beiden eine freudige Überraschung

Das ME-Wochenende bracht

sie zum Nachdenken übe

ihre Ehe, machte ihnen gleichzeitig aber auch bewußter, welche Rolle Gott in ihrer Partnerschaft spielte. "Damals habe ich ganz neu verstanden, was eigentlich das Sakrament der Ehe bedeutet", erinnert sich Peter Haubner. Nach und nach hat sich auch seine Sicht der Kirche verändert. Sie hat für ihn eine lebendigere Dimension bekommen. Mehr und mehr fühlt er sich mitverantwortlich für seine Gemeinde und für die ganze Kirche

Daß sich bei Familie Haubner durch den Kontakt mit Marriage Encounter einiges verändert hat, bestätigen auch die beiden halbwüchsigen Kinder. Die Eltern sind gastfreundlicher geworden, gehen spontaner auf Fremde zu, das Familienklima ist wärmer geworden

Als perfekte Eheleute fühlen sich die beiden Chemnitzer deshalb aber noch lange nicht. Wie wahrscheinlich in jeder Ehe gibt es bei ihnen Höhen und Tiefen. Sie empfinden es als ständiges Trainingsfeld, im Dialog zu bleiben, einander gut zuzuhören und anzunehmen mit den jeweiligen Empfindungen und Standpunkten, gemeinsam zu beten. "Wir brauchen immer wieder einen Anstoß von außen", betont Sieglinde Haubner

Erfreut waren sie deshalb schon nach ihrem ersten ME-Wochenende über das Angebot eines sogenannten "Brückenabends", an dem die Teilnehmer die Erfahrungen des Wochenendes auffrischen und gemeinsam mit erfahrenen Ehepaaren noch einmal reflektieren konnten. Seither haben sie immer wieder Kontakt zu anderen Paaren und Priestern der Gemeinschaft gesucht und unterschiedlichste Veranstaltungsangebote genutzt. Bereits seit einigen Jahren gehören sie selbst zu den "Teampaaren", die ME-Wochenenden leiten

Alle 14 Tage verbringen sie einen gemeinsamen Abend mit dem Dessauer Maristenpater Bernd Kordes, der schon seit vielen Jahren zum Leitungsteam von ME-Wochenenden gehört. Sein erstes Wochenende, das er selbst als Teilnehmer in Irland erlebte, ist für ihn unvergeßlich: "Nie zuvor hatte ich mich so sehr angenommen gefühlt. Ich verstand, daß Gott mich als erster geliebt hat und daß ich auf diese Liebe antworten darf." Verblüfft war er von der liebevollen Art, in der die Ehepaare miteinander umgingen und von der Wertschätzung, mit der sie ihm als Priester begegneten

"Seither habe ich nie wieder daran gezweifelt, daß das Priestertum die richtige Berufung für mich ist", sagt der Pater. Den intensiven Austausch, den die Eheleute mit ihrem Partner praktizieren, übt er in erster Linie mit seinen Mitbrüdern in der Ordensgemeinschaft, zunächst in Irland, später in Passau, heute in Dessau. "Wenn jeder seine Berufung in Fülle lebt, kann daraus für die Kirche Großes erwachsen", ist er überzeugt

Marriage Encounter hat weder neue Frömmigkeitsbräuche entwickelt noch neue liturgische Formen. Bernd Kordes lebt äußerlich so, wie er immer gelebt hat, erlebt aber vieles intensiver, etwa den Friedensgruß in der heiligen Messe. Seitdem er versucht, anderen Menschen mit ganzem Herzen zuzuhören, versteht er zum Beispiel auch Bibeltexte intensiver

Der Evangelientext über die Heilung der Schwiegermutter Petri zum Beispiel war früher für ihn ein nüchterner Heilungsbericht. Jetzt versucht er, zwischen den Zeilen zu lesen: "Sie hatte Fieber. Petrus, der doch eigentlich mit ihrer Tochter verheiratet war, zog seit Wochen mit einem gewissen Jesus durch die Gegend. Wahrscheinlich hat sie sich darüber echauffiert. Ähnliches habe ich selbst schon häufig beobachtet. Die persönliche Begegnung mit Jesus, die Erfahrung seiner Liebe, hat sie dann aber gewissermaßen entwaffnet.

Etwa 2000 Ehepaare hat er bei ME-Veranstaltungen im Laufe der Jahre schon erlebt, schätzt Pater Kordes, in den neuen Bundesländern kommen zu den Wochenenden in der Regel zehn bis zwölf Paare. Die Eindrücke, die die Ehepartner am Ende eines Wochenendes äußern, ähneln sich

Sie fühlen sich beflügelt, weil sie die Grundsicherheit wiederfinden, von ihrem Partner gemocht und geliebt zu sein. Die Aussicht, in ihrer Beziehung weiter zu wachsen, ist für sie eine Erfüllung tiefster Sehnsüchte. Sie empfinden es als wohltuend, "kein Blatt vor den Mund nehmen, aber auch kein Seelenstriptease machen zu müssen"

"Wie frisch verliebt" erleben sich sogar Paare, die schon die Goldene Hochzeit hinter sich haben. Es sei offensichtlich keine Frage des Alters, seine Beziehung noch einmal neu zu entdecken. Bernd Kordes erinnert sich an ein Paar in den 70ern, das am Ende des Wochenendes wie ausgewechselt war: "Der Mann hat seine Fürsorglichkeit entdeckt und ist auf einmal ganz zärtlich mit seiner Frau umgegangen." All diese Erfahrungen, erzählt Pater Kordes, stärken in ihm eine Hoffnung, die ihn durch den Alltag trägt

Auch Sieglinde und Peter Haubner werden sich an den ME-Wochenenden immer wieder bewußt, was sie ihrem Glauben und ihrer Gemeinschaft alles verdanken. "In Gott sind Freiheit und Nähe kein Widerspruch" haben sie erfahren. Deshalb laden sie andere "Paare, die gern miteinander verheiratet sind" immer wieder gern zu ihren Begegnungswochenenden ein

Dorothee Wanzek

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 24 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.06.1997

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