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Bistum Magdeburg

Kirche muß ihren Weltauftrag ernst nehmen

Interview mit Polizei-Seelsorger Norbert Winkler

Pfarrer Winkler, welche Bilanz ziehen Sie nach fünf Jahren Tätigkeit als Polizeipfarrer in Sachsen-Anhalt?
Der berufsethische Unterricht in Sachsen-Anhalt hat inzwischen eine gute Akzeptanz gefunden. Zu den Kollegen, die zum Beispiel Polizeipraxis, Psychologie oder Soziologie lehren, haben wir sehr gute Kontakte. Wir sprechen nicht nur über den Unterricht, sondern wir sitzen oftmals darüber hinaus beisammen, um uns und das besser kennen zu lernen, was wir im Unterricht lehren. Das sind Verknüpfungen, die ich sehr schätze, die mir persönlich helfen, Bezüge zu schaffen. Wir sind ja als Pfarrer nicht einfach die Lehrenden, die ein fertiges Wissen mitbringen, sondern wir sind ja auch die Lernenden, die von Schülern und Studenten und von den Kollegen lernen.
... und wie steht es bei den mehrheitlich nichtchristlichen Studenten und Schülern? Akzeptieren sie den Pfarrer in ihrer Ausbildung?
Die Vorbehalte unter den Schülern waren am Anfang spürbar. Es war für viele ein Schock, daß da plötzlich ein Pfarrer hereinkommt. Allerdings hat sich der Eindruck - früher kam die Partei, heute kommt die Kirche - relativ schnell wieder gegeben. Ich habe in den letzten vier Jahren kaum noch Aggressionen erlebt. Wir unterrichten inzwischen flächendeckend im Land Sachsen-Anhalt in allen Ausbildungsstätten der Polizei Berufsethik und dort hat uns schon eine sehr große Zahl von Beamten in der Ausbildung kennengelernt. Dadurch wurden Vorurteile abgebaut oder werden gar nicht erst mehr mitgebracht.
Manche Kirchenleute fragen sich vielleicht, was Ihre Arbeit der Kirche bringt. Wieviele Polizisten haben Sie schon bekehrt?
Es geht nicht in erster Linie ums Bekehren. Sonst wäre dieser Unterricht nur ein Alibi. Die Kirche hat einen Weltauftrag, den sie ernst nehmen muß. Sie soll in die "Sachbereiche dieser Welt", wie das Konzil sagt, hineingehen und dort in gewisser Weise selbstlos Sacharbeit leisten. Bildungsarbeit ist ja ein traditionelles Betätigungsfeld von Kirche. Hier ist es eben im Spezialbereich Polizistenausbildung. Ich glaube, daß ich zunächst einmal die Überzeugung der Studentinnen und Studenten achte, die sie mitbringen. Denn ich möchte ja auch von niemandem bekehrt werden. Es ergeben sich aber gerade deshalb Situationen, in denen immer wieder religiöse Themen angesprochen werden.
Ich schätze es inzwischen auch, daß diese religiösen Gespräche weniger im Unterricht stattfinden, wo es um wirklich nüchterne und sachliche Ethik geht, sondern oft außerhalb des Unterrichts. Was daraus wird, weiß man nicht. Es kann jedenfalls nicht unsere primäre Absicht sein, etwa sofort beträchtliche Zahlen von Menschen taufen zu wollen. Wir sind auf das Wirken des Heiligen Geistes angewiesen.
Sie halten nicht nur Unterricht, sondern begleiten auch Polizisten im Einsatz. Kommen die in Extrem- oder Konfliktsituationen zu Ihnen und bitten um ein seelsorgerliches Gespräch?
Ich habe im Gorlebeneinsatz die Beamtinnen und Beamten aus Sachsen-Anhalt, die ich ja zum größten Teil im Unterricht hatte, sehr bewundert. Mich hat es fasziniert, daß sie sehr human und ruhig mit den Menschen, die dort friedlich demonstriert haben, umgegangen sind - trotz des sehr stressigen und sehr langen Einsatzes. Die Gespräche mit mir als Seelsorger ergeben sich nicht auf spektakuläre Weise. Man muß dabeisein, dabeistehen. Dann ergeben sich natürlicherweise die Gespräche. Da werden dann auch die aktuellen Konfliktsituationen besprochen.
Wenn Sie bei Einsätzen der Polizei zur Seite stehen, ist das nicht eine unzulässige Verquickung von Staat und Kirche?
Die Polizei, die dort zum Beispiel in Gorleben eingesetzt war, ist zunächst nicht automatisch die Gegenpartei der Demonstranten. Unter den Polizeibeamten ist die Meinungsvielfalt genauso groß wie in der Bevölkerung. Die Polizeibeamten stehen dort, salopp gesprochen, um die Einhaltung von Spielregeln zu garantieren. Also, daß zwar unterschiedliche Meinungen ausgetragen werden können, aber nicht mit Mitteln der Gewalt. Dabei halte ich es für außerordentlich wichtig, daß ein Polizeipfarrer sich um die Menschen, die dort als Polizeibeamte im Einsatz sind, kümmert, soweit das nötig ist. Der Kirchenvertreter nimmt an dieser Stelle Verantwortung wahr, die weniger eine Vermischung von Kirche und Staat darstellt, sondern die die Kirche als Teil der Gesellschaft hat.
Was haben Sie bei Ihren Kontakten mit anderen Polizeiseelsorgern festgestellt: Gibt es Unterschiede in der Situation der Polizeiseelsorge zwischen Ost und West?
Es gibt Polizeiseelsorger in den Altbundesländern, die natürlich erfahrungsreicher sind. Anderseits ist durch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Polizeiseelsorger der Kontakt unter uns so gut, daß wir bei jeder Begegnung sehr viel voneinander erfahren und lernen. Der größte Unterschied ist vielleicht der: Viele der Menschen, mit denen ich es zu tun habe, sind zum Glück Kirche gegenüber weniger voreingenommen als zum Teil in den Altbundesländern. Dort haben ja schon viele Erfahrungen mit Kirche gemacht - und eben oft auch negative. Insofern haben wir hier sogar noch fast neutralere und nüchternere Chancen.
Die Bistumsleitung muß in den nächsten Jahren genau überlegen, wieviele Mittel und Personal sie für welche Aufgaben einsetzt. Was spricht dagegen, Ihre Arbeit einfach weltlichen Lehrkräften zu überlassen?
Die Kirche würde sich Investitionschancen in die Zukunft vergeben. Denn es gilt nach den Worten Karl Rahners ("Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance") nicht nur, das Herkömmliche zu bewahren. Das heißt, wir dürfen hier in den neuen Bundesländern nicht ausschließlich die Territorialseelsorge unter allen Umständen, mit allen Energien betreiben.
Wir müssen uns fragen, ob wir in dieser Situation mit nur etwa drei Prozent Katholiken nicht sehr viele Energien in den Umgang mit den Sachbereichen der Gesellschaft investieren müssen. Dort findet für viele Menschen zum ersten Mal Begegnung mit Kirche statt, ohne daß sie sich durch missionarische Aktivitäten vereinnahmt fühlen. Unsere Chance ist hier, daß einfach dieser Dialog zwischen Kirche und Welt stattfinden kann, den das Konzil herausgestellt hat.

Interview: Stephan Radig

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 24 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.06.1997

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