Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Bistum Erfurt

Die Erfurte Glocke Gloriosa wird 500 Jahre alt

Gotteslob seit einem halben Jahrtausend

Erfurt - "Dann kam der große Augenblick. Der Erfurter Weihbischof Johann Bonemilch von Lasphe hob die Hand. Es war das Zeichen, daß dem Erz der Weg freizugeben sei. Ein glühender Strahl schoß aus dem Ofen heraus, nahm sicher den ihm vorgeschriebenen Weg. Die Spannung in den Körpern der Zuschauer löste sich langsam, Bewunderung ergriff sie." So beschreibt der Chronist und Vikar an St. Severi, Conrad Stolle, die Ereignisse am Abend des 7. Juli 1497 auf dem Erfurter Domberg. Viele Menschen hatten sich zwischen St.-Marien-Dom und St. Severi eingefunden, um Zeugen des spektakulären Gusses einer so großen Glocke wie der "Gloriosa" zu sein

Etwa eine Woche später ließ der holländische Glockengießermeister Gerhardus Wou die 11 Tonnen schwere Gloriosa anheben. Als dies gelungen war, brachte er sie zum ersten Mal mit einem eisernen Hammer zum Klingen. Chronist Conrad Stolle schreibt: "Es erhob sich ein reines, tiefes Summen, leise und dennoch so voller Kraft, daß man die dem geformten Metall innewohnende Gewalt zu ahnen vermochte." Der Guß der "Gloriosa" war perfekt gelungen

Um die Glocke in den mittleren Turm des Domes transportieren zu können - an dieser Stelle erzählt der heutige Domküster und Domführer Thomas Holleczek weiter - mußte zunächst die Mittelsäule des Jungfrauenportals ausgebaut und die Glocke in den Chorhals unter die Türme bewegt werden. Dort wurde sie dann Zentimeter um Zentimeter angehoben und jeweils mit massiven Holzkonstruktionen unterbaut. Um die Gloriosa aber in ihre Glockenstube im Mittelturm des Domes bringen zu können, mußten zwei übereinander befindliche Gewölbe ausgebaut und anschließend wieder eingefügt werden. Bereits 1497 geweiht, wurde die Gloriosa erst Anfang Juni 1499 erstmals geläutet. Möglicherweise war zwischendurch das Geld ausgegangen, zumal für Glockenguß und Transport viel Material und umfangreiche Arbeiten erforderlich waren, mutmaßt Holleczek. Für das Läuten der Glocke waren dann jeweils acht Männer nötig, weitere acht Männer lösten sie während des Läutens ab

Über die Jahrhunderte hat die "Königin aller Glocken", wie sie seit 1650 genannt wird, seitdem zu Gottesdiensten und Wallfahrten, bei Pest und Krieg und auch am Tag der deutschen Einheit geläutet. Früher soll sie bis Gotha und Weimar zu hören gewesen sein, sagt Holleczek. Den großen Innenstadt-Brand von 1717 und auch die beiden Weltkriege überstand sie unversehrt. Seit 1923 wird sie elektrisch geläutet. 1984 verlor die Gloriosa durch einen Riß ihren weltweit geschätzten Klang, konnte aber 1985 repariert werden

Anläßlich ihres 500. Geburtstages findet jetzt vom 3. bis 7. Juli 1997 in Erfurt ein Europäischer Glockentag statt, der sich an Fachleute richtet. Parallel dazu findet jedoch ein umfangreiches Rahmenprogramm statt, das einer breiten Öffentlichkeit die Glocke in ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung nahebringen möchte (siehe nebenstehender Kasten)

Erfurt - "Es war ein großer Augenblick." Franz Funke erinnert sich noch sehr gut daran, als die Gloriosa zum Marienfest am 8. Dezember 1985 erstmals nach ihrer Reparatur wieder in Erfurt zu hören war. "Die Anteilnahme der Bevölkerung war unwahrscheinlich. Der Domplatz war voll. Auf dem Gelände der Gartenbauausstellung, im Steigerwald - an den unterschiedlichsten Stellen hatten sich die Menschen an diesem Abend versammelt, um die Gloriosa zu hören - und waren begeistert!" Die Königin aller Glocken hatte ihren tiefen, wohligen Klang wiederbekommen

Ein Jahr zuvor war es passiert: Franz Funke, der seit 36 Jahren als Mitarbeiter der Dombauamtes die Gloriosa in seiner Obhut hat, war wie immer, wenn die Glocke erklingen soll, auch in der Weihnachtsnacht 1984 in den Turm hinaufgestiegen. Die Gloriosa von ihrer Glockenstube aus zu läuten ist deshalb nötig, weil man sie nur hier oben genau beobachten und notfalls das elektrische Läutwerk abschalten kann, erläutert der Elektro- und Läutewerktechniker. "Normalerweise habe ich trotz der Lautstärke ein wohliges Gefühl im Bauch, wenn die alte Dame ihren tiefen Klang vernehmen läßt", sagt Funke liebevoll. "Doch in der Weihnachtsnacht hatte ich eine innere Unruhe gespürt und war mit einem irgendwie unguten Gefühl gegen 0.30 Uhr den Turm hinuntergestiegen. Als ich dann am dritten Weihnachtstag gemeinsam mit Dombaumeister Erwin Gramse nach der Glocke sah, wurde deutlich: Meine Unruhe hatte gute Gründe: Die Gloriosa hatte einen 60 Zentimeter langen Haarriß bekommen, der ihr ihre wohlklingende Stimme genommen hatte. Der Dombaumeister und ich waren ziemlich betröppelt."

Auch in der Silvesternacht wird die Gloriosa geläutet. Seit etlichen Jahren geht dann gemeinsam mit Franz Funke eine kleine Gruppe von Freunden auf den Turm. Funke: "1984 stand die Frage: Sollen wir auch diesmal zur Gloriosa hinaufgehen? - Wir sind dann doch auf dem Turm gewesen und haben die anderen Glocken geläutet. Doch wir alle hatten ein Gefühl, als ob jemand aus der Familie ernstlich erkrankt ist.

Die Reparatur der Gloriosa wurde von Glockengießermeister Hans Lachenmeyer aus Nördlingen in der Turmstube vorgenommen. Er erhitzte die Glocke mit Hilfe von Holzkohle und einem Ringofen auf 420 Grad, und verschweißte in diesem Zustand ihren Riß. "In der Vor- und Nachbereitung haben wir täglich viele Stunden gearbeitet", erinnert sich Funke. Alle Holzteile mußten aus der Turmstube aus- und später wieder eingebaut, ein Betonfußboden eingebracht, die Materialien mühsam auf den Turm hinauftransportiert werden. "Und doch war es eine schöne Zeit. Egal ob Schweißerspezialist, Feuerwehr- oder Zimmermann ... Einer stand für den anderen ein.

Rund 15 Mal im Jahr steigt Franz Funke die 175 Stufen in die Glockenstube hinauf, um die Gloriosa zu läuten: zu den kirchlichen Festen, zu Wallfahrten und bei einigen anderen Anlässen. Daneben ist er auch für die Technik zuständig. Funke liebt seine Glocke. Und dies nicht zuletzt wegen ihrer Aufgabe, die Menschen an Gott zu erinnern. "Wenn ich an den Festen hier oben läute, geht mir manchmal durch den Kopf, wieviele Menschen schon mit ihren Freuden und Ängsten zum Dom gekommen sein mögen. Sie alle haben den ruhigen, wohligen Klang der Gloriosa gehört.

Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 25 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 22.06.1997

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps