Angestoßen von den ersten Künderinnen der Auferstehung
Ostdeutsche im Präsidium der kfd
Die Frauen, die zu Ostern das leere Grab Christi fanden, beschäftigten Doris Michalke vor zehn Jahren beim DDR-Katholikentreffen in Dresden. Eher zufällig war die damalige Rendantin der Leipziger Propsteigemeinde in eine Arbeitsgruppe zu diesem Evangelientext hineingeraten. Seither lassen sie die "Frauen in der Kirche" nicht wieder los. "Wo können Frauen in puncto Glaube und Spiritualität etwas in Kirche und Gesellschaft hineintragen?" heißt die Frage, die Doris Michalke bewegt und die sie sich immer wieder stellt
Nach dem Katholikentreffen hatten einige Frauen an dem Thema der Gruppe weitergearbeitet. Drei von ihnen, darunter Frau Michalke, gründeten kurz nach der Wende im Bistum Dresden-Meißen die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd). 1990 gehörte sie zu den Mitbegründerinnen der kfd im Bereich der Berliner Bischofskonferenz, deren Sprecherin sie bis zur Auflösung vor einem Jahr war. In vielen katholischen Gemeinden der neuen Bundesländer hat sie die kfd seither vorgestellt. Im vergangenen Mai wählte der kfd-Bundesverband die 58jährige, die mittlerweile im Bistum Magdeburg wohnt, zu einer von drei Vizepräsidentinnen. Einem Verband beizutreten, war für sie vor einigen Jahren zwar eine völlig neue Erfahrung, aber mit keiner Hemmschwelle verbunden. Wenn sie auch Verständnis aufbringt für die verbreitete "Verbandsmüdigkeit" in den neuen Ländern, sie selbst empfand den Beitritt zu einem christlichen Frauenverband als "etwas Erleichterndes". Ämter in dem größten deutschen Verband (750 000 Mitglieder) zu übernehmen, war für sie anfangs weniger selbstverständlich
Als sie im Dezember erfuhr, daß mehrere ost- und westdeutsche Bistümer sie für das Amt der Vizepräsidentin vorgeschlagen hatten, ließ sie sich mit der Antwort viel Zeit: "Ich habe mir gründlich überlegt, ob ich die Standpunkte der kfd nach innen und nach außen vertreten kann", sagt sie. Mit ihrer Kandidatur verband sich auch der Wunsch, die kfd in den neuen Bundesländern bekannter zu machen und ein Signal zu setzen, daß es auch für hiesige Christen möglich ist, sich in alteingesessene Gremien wie ein bundesdeutsches Verbandspräsidium einzubringen
Sehr wichtig ist es ihr, weiterhin den Kontakt zu den Frauengruppen an der "Basis" zu halten. Sie versteht sich keineswegs nur als Vizepräsidentin der Ostdeutschen. Daß sie aber als Ostdeutsche eigene Sichtweisen und Erfahrungen einbringen kann, wurde ihr spätestens während der Präsidiumswahlen deutlich. "Wie wollen Sie denn Ehrenamt und Berufstätigkeit unter einen Hut bringen?" wurde sie von westdeutschen Frauen gefragt
Bei Frauen in den alten Bundesländern sei es durchaus üblich, für ein Ehrenamt die Erwerbstätigkeit aufzugeben, weiß Doris Michalke. In ihren Augen entspricht dies nicht gerade dem Anliegen der kfd, Erwerbstätigkeit der Frauen zu fördern. Ihr ist bewußt, daß Sie fortan ihren Terminkalender sehr gut organisieren und dabei auch klare Prioritäten setzen muß. Daß sie Witwe ist, erleichtert ihr eine flexible Terminplanung. Ihre berufliche Aufgabe als Leiterin der Ausländerbehörde Leipzig ist allerdings weitaus mehr als ein Acht-Stunden-Job. Wenn nicht der Ruhestand im nächsten Jahr bereits absehbar wäre, hätte sie die ehrenamtliche Mehrbelastung womöglich doch gescheut. Bisher jedenfalls strahlt die vierfache Großmutter noch Gelassenheit aus
Auch in ihrem Berufsalltag hat sie einen besonderen Blick für die Situation der Frauen. Von den 20 000 Ausländern in Leipzig seien knapp 4000 Frauen, bei den Asylbewerbern sei das Verhältnis noch krasser: "Frauen schaffen eine Flucht nicht so leicht, sie sind auch in dieser Hinsicht massiv benachteiligt. Wenn man im Fernsehen Bilder zum Beispiel aus ruandischen Flüchtlingslagern anschaut, sieht man dort vorwiegend Frauen mit ihren Kindern.
Als Behördenleiterin hat Doris Michalke vorwiegend und fast täglich mit ausländischen Mitbürgern zu tun, die sich mit deutschen Gesetzen schwertun. An ihrer grundsätzlichen Einstellung, daß Ausländer für die Gesellschaft in Deutschland eine Bereicherung sind, konnte das bisher aber noch nichts ändern. Als Christin am Arbeitsplatz zu leben, bedeutet für sie in erster Linie, freundlich und respektvoll mit den Ausländern umzugehen und auch ihre Mitarbeiter dazu anzuhalten. Zu DDR-Zeiten hätte sich Doris Michalke nicht träumen lassen, daß es ihr eines Tages möglich sein würde, sich gesellschaftlich zu engagieren
Wo es ging, meldete sie sich laut zu Wort, zum Beispiel, als ihre Tochter zur Jugendweihe gedrängt werden sollte. Ein erster Hoffnungsschimmer auf einen Wandel war für sie das 87er Katholikentreffen. Als 1990 ihre Bewerbung bei der Ausländerbehörde Erfolg hatte, bedeutete das für sie einen "Sprung ins kalte Wasser". In einem Alter, in dem viele Menschen bereits auf ihren Ruhestand hinleben, mußte sie noch einmal ungezählte Lehrgänge absolvieren, sich mit einer Flut von bisher unbekannten Gesetzen auseinandersetzen und ein Höchstmaß an Spontaneität unter Beweis stellen - Erfahrungen, die sie auch für die Zusammenarbeit mit dem neugewählten kfd-Präsidium nutzen will. Sie freut sich auf die Aufgabe.
Dorothee Wanzek
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 22.06.1997