Glockenguß auch gegen das Böse
Bodo Kühns Roman "Gloriosa" in dritter Auflage
"Dann kam der große Augenblick. Lasphe hob die Hand. Es war das Zeichen, daß dem Erz der Weg freizugeben sei. Gerhard van Wou und seine Gesellen entblößten die Häupter, verneigten sich nach dem Heiligen Sakrament hin. Dann sprachen sie, in der Stille allen vernehmbar, das alte Gebet der Glockengießer. ,Der Herr sei uns gnädig und fördere das Werk unserer Hände.' Sie traten zurück. Der Hauptgeselle ergriff eine lange eiserne Stange ,Stoß ein in Gottes Namen!' rief Gerhard van Wou.
Keiner hat die Geschichte und den Guß der "Gloriosa" bisher so packend und fesselnd erzählt, wie der Thüringer Schriftsteller Bodo Kühn in seinem historischen Roman "Gloriosa". Den schon zu DDR-Zeiten vielgelesenen Roman, der erstmals im Berliner Union Verlag 1965 erschienen ist, hat dankenswerter Weise der Wartburg Verlag in einer sehr anspruchsvollen Neuauflage herausgebracht. Bodo Kühn zeigt nicht nur auf, wie die Domstadt Erfurt in den Besitz der "Königin der Glocken" gelangte, welche Widrigkeiten, Intrigen und Neider der Glockengießer Gerhard van Wou zu bewältigen hatte, er läßt auch das mittelalterliche Erfurt und das Denken des mittelalterlichen Menschen vor den Augen des Lesers auferstehen. Die heutige Gloriosa war die fünfte in einer langen Reihe von Vorgängerinnen, deren Zerspringen mit "dem Bösen" in Verbindung gebracht wurde. Der holländische Meister sah es deshalb als heiligen Auftrag an, mit dem Gelingen seines Werkes endgültig auch die "Teufelsreihe" aus der Welt zu schaffen. Kühn schreibt: "Nach dem Guß löste sich die Spannung in den Körpern der Zuschauer langsam, Bewunderung ergriff sie. ...doch schon erhoben sich die Domherren, einen Gesang anzustimmen, einen Dank an die heilige Mutter für das Gelingen des Werkes. Die Menschen verließen still den großen Raum. Es waren manche dabei, die sich in banger Sorge eingefunden hatten, daß das Werk vom Bösen gestört werde, wie damals bei Meister Claus. Er hatte es nicht gestört. Ob der mutige Holländer ihm vielleicht doch die Kraft gebrochen?" Das Werk des Gerhard van Wou im Jahre 1497 gelang, wie wir heute wissen. Die Spannung des Romans bleibt jedoch auch mit diesem Wissen erhalten: Wie gehen die Zwistigkeiten der Handwerkszünfte aus? Kann sich der couragierte holländische Meister gegen die kleingeistigen Umtriebe des Erfurter Bürgertums wehren? ...und findet die Liebesgeschichte des Glockengießergesellen Pieter zu seiner Erfurter Grete ein Happy End
Carsten Kießwette
Kühn, Bodo; Gloriosa, Weimar, Wartburg-Verlag, 3. Auflage, 1996, 224 Seiten, ISBN 3-86160-138-9, Preis: DM 29,80
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 22.06.1997