Bibel motiviert zum Kampf David gegen Goliath
Zum 27. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Leipzig
David gegen Goliath, oder wie es das Motto des 27. Evangelischen Kirchentages ausdrückte: "Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben." In Heuerdorf - einer kleinen Gemeinde rund 30 Kilometer von Leipzig entfernt - ist dieses Motto besonders greifbar geworden. Mitten im Ort erinnert eine Skulpturengruppe an das biblische Geschehen, in dem der schwache David den scheinbar übermächtigen großen Goliath besiegen konnte. Für die Heuersdorfer heißt dies konkret: Sie sind David, die Mitteldeutsche Braunkohlen AG (MIBRAG) und ihre Energie-Partner sind Goliath. Daß dazu inzwischen auch der sächsische Staat gehört, wundert die Heuersdorfer nach Jahren des Kampfes nicht mehr: Denn ihr Dorf - so will es die sächische Staatsregierung und die MIBRAG weiterhin - soll dem Braunkohleabbau weichen. Sei es auch mit äußerst fragwürdigen Methoden einer Zwangs-Eingemeindung per Gesetz in den größeren Nachbarort Regis-Breitingen, obwohl die kommunalen Strukturen in Heuersdorf funktionieren und der Ort einen gewählten Bürgermeister hat. Dennoch, so Bürgermeister Horst Bruchmann, bleiben die Heuersdorfer dialogbereit. Deren kommunale Ausschaltung macht jedoch eine Zerstörung des Ortes durchaus leichter
In dieser Situation gab es für Heuersdorf und seine rund 320 Menschen ein besonderes Zeichen der Solidarität: Der 27. Deutsche Evangelische Kirchentag, der sich vom 18. bis 22. Juni 1997 in Leipzig traf, feierte einen der zahlreichen Eröffnungsgottesdienste auf dem Sportplatz des kleinen Ortes
Die Predigt hielt Curt Stauss, Superintendent in Nordhausen. Er sagte: Die hier den Kampf aufgenommen haben, weisen darauf hin, daß die Energieprognosen für die Zukunft nicht stimmen können; beispielsweise richten sie sich an einem völlig falsch eingeschätzten Wirtschaftswachstum in den neuen Ländern aus. Konkret steht dahinter, der Energieüberschuß steht schon heute 40 Prozent über dem Hauptbedarf des Tages. Dennoch werden in Sachsen und auch in Brandenburg weiterhin die Signale für Energie aus Braunkohle auf Grün gestellt. Noch einmal Curt Stauss: "Man sagt, Energie schafft Arbeitsplätze, das stimmt, ist aber kurzsichtig gedacht. Der Satz müßte ergänzt werden: und verbaut die Zukunft." Das Argument Arbeitsplätze, so Stauss, mache Menschen oft zu Geißeln einer brutalen Wirtschaftspolitik. Ein Beispiel: Sprach Sachsens Wirtschaftsminister Kajo Schommer noch vor Jahren von 10 000 Arbeitsplätzen durch die Kohle, so ist heute nur noch von der Hälfte die Rede, Tendenz nach unten fallend
Ein anderer in Heuersdorf angesprochener Aspekt ist, daß die Natur und ihre Schätze keine bloßen Materialien sind, die wahlweise zur Verfügung stehen, sondern zuerst Lebensräume. Hier bedarf es eines langen Umdenkungsprozesses, sei es in Heuersdorf, im Lausitzer Horno oder in Garzweiler in Nordrhein-Westfalen. Und für Christen ist damit die Verpflichtung für Einmischung und Engagement verknüpft. Carl Stauss machte Mut: "Der Kirchentag kam nach Heuersdorf um einen Gottesdienst dort zu feiern, wo alle Hoffnung vergebens scheint, aber denen die da meinen, Beten hilft nicht, sei gesagt, na dann warte mal ab ...
"David gegen Goliath" könnte auch bei vielen anderen Kirchentagsveranstaltungen das ergänzende Motto gewesen sein, sei es vom Markt der unendlichen Möglichkeiten bis hin zu den vielfältigen Veranstaltungen. Dennoch, so brachte es Superintendent Dietrich Mendt aus Dresden einmal auf den Punkt, die Leute sollen nicht nur auf die schönen Reden hören sondern vielmehr gestärkt in ihre Gemeinden zurückkehren, um sich dort neu zu engagieren. Die Leipziger Erfahrungen seien dafür eine gute Grundlage
Ein Beispiel für die Vielfältigkeit ist der Markt der Möglichkeiten. Die Breite der Initiativen reichte von der Dritten Welt, über Christen in den Parteien bis hin zu deutsch-deutschen Partnerschaften. Diese waren allerdings nur mit drei Ständen vertreten. Von der bayerisch-thüringischen Grenze kamen Superintendent Arndt Brettschneider aus Sonneberg und Pfarrer Dr. Hans Ulrich Hofmann aus Franken nach Leipzig. Zwischen beiden Regionen entwickelte sich nach der Wende eine intensive Zusammenarbeit im sogenannten "Oberlinder Kreis". Zweimal im Jahr treffen sich dabei evangelische Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter, um über gemeinsame Themen zu sprechen. Dabei kommen auch immer wieder kommunale Probleme und Vorhaben ins Gespräch. Es werden Anregungen gegeben, die von den örtlichen Politikern bei ihrer Arbeit Beachtung finden
Superintendent Brettschneider: "Es geht um den Weg von der Hilfe im Kleinen zum Frieden im Kleinen. Gerade in einer Zeit, wo die Ost-West-Diskussion sehr aktuell ist, wollen wir einfach bei allen Problemen zeigen, es geht auch anders." Und Probleme gibt es im ehemaligen Grenzbereich mehr als genug. Zwar hat die Thüringer Region Sonneberg im ostdeutschen Vergleich eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit, weil viele in den Westen pilgern, doch dies hat zur Folge, daß dort die Arbeit immer knapper wurde. Und einige Unternehmer kommen mit ihren Firmen nach Thüringen, weil sie dort gefördert werden und viel geringere Löhne zahlen müssen. Häufig, so sein fränkischer Kollege Pfarrer Hans Ulrich Hofmann, kommt der Ruf auf, die Mauer wieder aufzubauen. Die Arbeit im "Oberlinder Kreis" schätzen beide als wichtigen Schritt hin zu mehr Verständigung auf beiden Seiten ein. "Wir möchten, daß sich die Beziehungen normalisieren und sich die Aggressionen auf beiden Seiten legen", betonen die evangelischen Seelsorger. Ein kleiner evangelischer David gegen den großen Goliath der herrschenden Vorurteile und Verteilungskämpfe
Beziehungen zwischen Ost und West waren auch Anliegen von Christoph Bergner, CDU-Fraktionschef von Sachsen-Anhalt. In einem Podiumsgespräch mit Vize-Bundestagspräsidentin Antje Vollmer von den Grünen betonte der Madgeburger Politiker seinen Wunsch, daß die Unterschiede zwischen Ost und West nicht größer sind, als die zwischen Schleswig-Holstein und dem Freistaat Bayern. Vollmer und Bergner sprachen über die Möglichkeiten der Politik, mehr Gerechtigkeit durchzusetzen. Antje Vollmer forderte dabei die Stärkung des Sozialstaates durch das Ehrenamt. Vollmer wörtlich: "Der Sozialstaat kann nur von den Bürgern verteidigt werden, von Bürgern, die einen Teil ihrer Zeit abgeben für soziale Aufgaben. Lebendig und human bleibt eine Gesellschaft nur dann, wenn alle einen Teil ihrer Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten einsetzen.
An die Kirche richtete die Politikerin der Grünen, die auch evangelische Theologin ist, unter anderem den Wunsch, daß sie weiter den Sonntag verteidigt. Auch ist es für sie wichtig, die spirituellen Qualitäten der Kirche stärker hervorzuheben und mit Leben zu erfüllen
Waren auch bei vielen Veranstaltungen Prominente aus Politik und Gesellschaft vertreten, so gab es doch Arbeitsgruppen, die ohne "Promis" auskommen mußten. So ein Abend zur Situation in den Familien. Mit dabei Christel Vogel, ehemalige Betriebsrätin in Bitterfeld. Sie schilderte anschaulich den wirtschaftlichen Verfall der Region nördlich von Leipzig gelegen. Arbeitslosigkeit, ABM und Sozialhilfe sind nur einige Begriffe, die in den vergangenen Jahren für die Menschen in und um Bitterfeld traurige Realität geworden sind. Heute, so Christel Vogel, sei nur noch jeder Zehnte in seinem angestammten Beruf tätig. Daß die heutige Armut oft zuerst Armut der Kinder und Frauen ist, machte Dorothea Ilse, die Kinderbeauftragte der Stadt Halle deutlich. Nicht wenige arbeitslose Frauen sind alleinerziehend. Und mit der Armut geht oft die gesellschaftliche Ausgrenzung einher. Ein Beispiel aus dem Münsterland nannte der Psychologe Klaus Tantow von der dortigen Diakonie. "Ich spüre ganz deutlich, wie sich im Gymnasium meines Sohnes Klassensysteme herausbilden. Wer den Kleidungsdurchschnitt nicht erfüllt, ist bei den anderen unten durch und wird isoliert." Ein Trend, der sich inzwischen in ganz Deutschland bemerkbar macht. Leider nicht nur bei Kindern und Jugendlichen
Noch einmal Klaus Tantow: "Wer nicht stromlinienförmig ist, für den gibt es auf Dauer auch keine Arbeit und der Fall durch das soziale Netz scheint vorprogrammiert." Bei all diesen Problemen, ließen sich die Teilnehmer des Kirchentages nicht entmutigen. Leipzig zeigte, wie wichtig ihnen auch Begegnung und Stärkung im Glauben sind. Beispielsweise in der Halle der Schöpfung. Jung und alt trafen sich dort zu einer liturgischen Mahlzeit. Angeboten wurden Papiertüten gefüllt mit Möhren, Erbsenschoten - denn wer weiß noch, daß Erbsen Hülsenfrüchte sind - Erdbeeren und Äpfeln. Oder bei den zahlreichen Bibelarbeiten. Eine von ihnen hielt der katholische Bischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt. Er machte Mut, den jeweiligen Augenblick zu leben. "Der gegenwärtige Augenblick ist unsere Zeit. Christus hat alles verändert... Wenn ich mich im Laufe des Tages immer wieder, ja möglichst oft an dieses Jetzt der Begegnung mit Christus erinnere, strahlt Gerechtigkeit, strahlt Liebe in meinem Tun auf", betonte der Bischof
Zwei treffende Worte zum Thema des Kirchentages "Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben" sagten der Heidelberger Theologe Hans Richard Reuter und Martina Gnadt, Theologin aus Kassel: "Wir Menschen können niemals Gerechtigkeit schaffen, aber wir können versuchen, ihr zu entsprechen" und "Es gibt keinen, aber auch wirklich keinen Grund, Ungerechtigkeiten zu akzeptieren. Es gibt aber viele Möglichkeiten, gegen Ungerechtigkeiten anzukämpfen." Eine Möglichkeit war der Kirchentag in Leipzig.
Holger Jakobi
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.06.1997