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Bistum Dresden-Meißen

Der unbemerkte Wandel

Zum Verhältnis zwischen Judentum und Christentum

Lob und Tadel strömte auf die Teilnehmer am Gesprächsabend "Erinnern, um aufzubrechen" im Dresdner Probst-Beier-Haus ein. Der jüdische Autor und Journalist Günter Bernd Ginzel aus Köln referierte auf Einladung der Katholischen Akademie zum Thema "Auf dem Weg vom Gegeneinander zum Miteinander der Christen und Juden"

Ginzel zeichnete die Geschichte der Juden in Europa nach, wobei er die schlimme Rolle des Christentums bei Verfolgung und Pogromen aufzeigte. Dabei sei es nur durch die Glaubenstreue der Juden überhaupt zum Christentum und auch zum Islam gekommen. Die Christen hätten das Weiterbestehen des ,Judentums nicht akzeptieren können, weil sie sich als die Nachfolger und nicht als parallele Religion verstanden hätten. So ging es den Juden in der Geschichte überall da schlecht, wo die Kirche erstarkte. Die Betroffenheit war spürbar, als Günter Bernd Ginzel den Zuhörern vorhielt, wie wenig der "ungeheuerliche" Wandel im Verhältnis der Religionen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Christentum wahrgenommen werde. Heute seien jüdische Lieder Teil der christlichen Jugendkultur, "daß das Jüdische von Kirchen- und Katholikentagen nicht mehr wegzudenken ist, das ist doch etwas Großartiges"

Es gebe heute grundsätzlich andere theologische Positionsbestimmungen in den Kirchen als noch in den 40er und 50er Jahren. Noch Ginzels Elterngeneration habe den Namen Jesus nicht ausgesprochen, weil in seinem Namen das Unheil geschah. "Kann aus dem christlichen Umfeld für die Juden etwas Positives kommen?", sei die zweifelnde Frage gewesen. "Heute hat sich die Kirche von der Judenfeindschaft, von der Duldung hin zum solidarischen, wachsamen Partner gewandelt - das ist ungeheuerlich", so Ginzel. Und das, wo erst vor 15 Jahren die letzte Legende vom jüdischen Ritualmord an Christen in Innsbruck abgeschafft wurde. "Jetzt hängt da eine Mahntafel, der Wunsch einer neuen Kirche um Verzeihung. Im Grunde müssen wir doch unendlich dankbar sein, heute zu leben.

Das gute Verhältnis nahm Ginzel zum Anlaß, um den zuhörenden Christen einige Aspekte des jüdischen Glaubens nahezubringen. So gehen Juden, die noch keine engen Verwandten verloren haben, nicht auf den Friedhof und nehmen auch nicht an den Totengedenken in der Synagoge teil. Das Erinnern an Tote wird so zu etwas Besonderem. Ginzel verwies auch auf die christliche Sitte, bei Gebeten nur für die eigene Person zu bitten - "Juden sagen nie ,ich' oder ,hilf mir', sie beten im Plural. Was maßen wir uns an, daß Gott uns allein helfen soll?

Weiter appellierte der Kölner Autor an die Christen, sich an die "unbesungenen Helden" in der Nazizeit und auch sonst zu erinnern. Hunderttausend Deutsche hätten in der NS-Zeit verfolgten jüdischen Menschen geholfen, aber heute wie damals gebe es wenig Interesse an der Geschichte derer, die nicht den Weg des Opportunismus gegangen sind. "Diese leuchtenden Vorbilder haben es den Juden ermöglicht, hier überhaupt wieder zu leben", so Ginzel. Auch seine Entscheidung für Deutschland sei durch Menschen erleichtert worden, zu denen er Vertrauen faßte, wo er wußte, "die werden nicht noch einmal schweigen"

Hätte die DDR überlebt, wären die Juden in ihr langsam ausgestorben. Heute gebe es in Dresden wieder eine lebendige, lebensfrohe Gemeinde - ein deutliches Zeichen für Ginzel, "daß da oben jemand thront, der uns von Zeit zu Zeit unterstützt". Dennoch zeigte er sich enttäuscht über seine Erfahrungen in Ostdeutschland. Immer wieder werde ihm klar, daß der Schritt, den die offizielle Kirche im Konzil gegangen sei, von den Gläubigen nur zögernd nachvollzogen werde. Alte Vorurteile sind noch da, und der Umgang mit der Vergangenheit ist problematisch: "Ein Großteil der deutschen Bevölkerung ist in einem solchen Ausmaß damit beschäftigt, etwas zu vergessen, daß er es nicht schafft, das Notwendige anzupacken.

Christian Saadhoff

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 26 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.06.1997

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