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Bistum Erfurt

Staatssozialistische Sicht

Diskussion zum Sozialwort

Erfurt (ep) - Der Umgang mit den wirtschaftlichen und sozialen Problemen in Deutschland scheint eine Quadratur des Kreises erforderlich zu machen. Die Auffassungen darüber, wie zu Lösungen zu kommen ist, sind vielfältig bis konträr. Dies wurde einmal mehr deutlich, als am 10. Juni 40 Teilnehmer, unter ihnen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, mit Kirchenvertretern über das Sozialwort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland diskutierten. Dazu hatte die Konrad-Adenauer-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Forum in Thüringen ins Erfurter Bildungshaus St. Martin eingeladen

Viel Kritik am Sozialwort der Kirchen brachte zu Beginn der Podiumsdiskussion der Marburger Wirtschaftswissenschaftler Alfred Schüller vor. Zwar würden Probleme wie etwa die Notwendigkeit eines Umbaus der Gesellschaft klar benannt. Doch die daraus gezogenen Konsequenzen seien unscharf und fragwürdig. Die Verfasser hätten sich nur wenig zum Aufzeigen von Perspektiven durchringen können, die einer Stärkung unternehmerischer Initiativen dienten, sagte Schüller, der auch Berater des Bundes Katholischer Unternehmer ist

Stattdessen wolle das Papier "soviel wie möglich von der bisherigen staatlich gelenkten sozialen Marktwirtschaft retten". Das Subsidiaritätsprinzip werde zu wenig vom Prinzip der Eigenverantwortung her gesehen. Deutliche Kritik übte Schüller an der Einleitung des Sozialwortes, die eine "sehr stark staatssozialistische Sicht" vortrage und die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme verharmlose. Die Rolle der Lohnstückkosten etwa werde "heruntergespielt" und der "soziale Friede zwischen den Tarifpartnern beschworen". Wie der bisherige Sozialstaat à la Bundesrepublik finanziert werden könne, werde jedoch nicht ernstlich bedacht

Insgesamt positiv äußerte sich hingegen Dr. Hans-Joachim Schabedoth von der IG-Metall-Vorstandsverwaltung zum Wort der Kirchen. Mit dem Sozialpapier positionierten sich die Kirchen deutlich auf der Seite der Arbeitnehmer und der Armen. Er hätte sich darüber hinaus eine klare Stellungnahme bezüglich der Notwendigkeit von Gewerkschaften und deren Einsatz für flächendeckende Tarifverträge gewünscht, so Schabedoth, der Mitglied des Sozialethischen Arbeitskreises Kirchen und Gewerkschaften ist. Als "gut gelungen" bezeichnete Schabedoth die vom Papier angedeuteten Perspektiven bezüglich von Veränderungen bei der Gewichtung der Erwerbsarbeit im Leben von Männern und Frauen

Das Sozialpapier sollte "nicht primär ein wissenschaftlich rundum abgeklopfter Beitrag sein", sondern eine Situationsbeschreibung aus verschiedenen Perspektiven einschließlich entsprechender Optionen. Daran erinnerte Dr. Ruth Kölblin aus Jena, die an der Entstehung des Papiers aktiv mitgewirkt hatte. Insofern sei es "sogar gut, wenn unterschiedliche Positionen" zur Sprache kämen

Frau Kölblin kritisierte die Zerstrittenheit der Einzelgewerkschaften. So sei etwa eine Gewerkschaft ihren Mitgliedern in den ostdeutschen Braunkohletagebau-Gebieten zugunsten der Kumpel im Westen "in den Rücken gefallen". Die Biologin, die an der Universität Jena als Vorsitzende des Personalrates tätig ist, berichtete von ihren Erfahrungen an der Hochschule: Gerade bei der Klärung von Personalangelegenheiten reichten rechtliche Positionen, auf die sich die Gewerkschaften gern bezögen und die jemand natürlich einnehmen könne, oftmals nicht aus, um Probleme wirklich zu lösen, so Frau Kölblin. Stattdessen sei oftmals solidarisches Handeln nötig - etwa, in dem ein Kollege eben nicht bis zum 65. Lebensjahr arbeitet - um zu praktikablen Lösungen zu kommen

Professor Michael Schramm, Sozialethiker am Philosophisch-Theologischen Studium, wies darauf hin, daß Begriffe wie Solidaritätsprinzip und Subsidiaritätsprinzip je nach ideologischer Position inhaltlich unterschiedlich ausgelegt werden, was die Diskussion erschwere. Für die Kirche komme es darauf an, sich in der Ökonomie sachkompetent zu machen, um zu klareren Positionen zu gelangen als dies im Sozialwort der Fall sein konnte. Das Sozialpapier beziehe deutlich zugunsten der Schwachen Position. Schramm erinnerte an die Sozialpflichtigkeit des Eigentums

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 26 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.06.1997

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