Mehr Effizienz im Gottesunternehmen
Die Situation der Kirche analysiert
Magdeburg (ep) -Eine stärkere Beteiligung von Laien bei der Leitung von Gemeinden hat der Erfurter Sozialethiker Michael Schramm vorgeschlagen. Pries-ter, die ihre Berufung bewusst als Seelsorger verstehen, aber nicht als Verwaltungschefs oder Bauherren, sollten sich auch mit ganzer Kraft dieser Aufgabe widmen (können). Geschäftsführung, Arbeit mit Gremien oder Personalführung in einer Pfarrei könnten -im Einklang mit dem Kirchenrecht -auch Laienmitarbeiter wahrnehmen, sagte der Professor für Christliche Sozialwissenschaft vor 200 Seelsorgern und Seelsorgemitarbeitern in Magdeburg und plädierte auch für eine "Mitsprache der Pfarrgemeinden bei Stellenplan und Stellenbesetzung". Die Gemeinden forderte der Hochschullehrer von der Theologischen Fakultät Erfurt auf, zu ganz verschiedenen Angeboten etwa an Gottesdiensten einzuladen.
Der Wissenschaftler sprach zum Thema: "Das katholische Gottesunternehmen". Dabei nahm er die kirchlichen Aktivitäten aus "religionsökonomischer Perspektive" in den Blick, einer Sichtweise, bei der es in erster Linie nicht um Finanzen, sondern vielmehr um die Posi-tion der Kirche am Markt der religiösen Angebote in der Gesellschaft geht, wie Schramm betonte. Diese religionsökonomische Brille biete nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit, habe aber den Vorteil, die Frage der Positionierung der kirchlichen Produkte am gesellschaftlichen Markt schärfer in den Blick zu bekommen. Dies sei erforderlich, da die kirchlichen Angebote -"Ganzheitlichkeitsanspruch der Kirche hin oder her -auf dem Freizeitmarkt konkurrieren" müssten. Das katholische Gottesunternehmen besitze "Kompetenz für Religion, für Spiritualität". Es sollte sich deshalb auch "vorrangig -nicht ausschließlich -auf dieses Produkt konzentrieren", betonte der katholische Sozialwissenschaftler.
"Ungeschminkt" betrachtete Schramm die Situation der Kirche, "die in unseren Breiten vor dem Problem einer entschwindenden Stammkundschaft" stehe. Im Westen sind heute noch gut 78 Prozent der Bevölkerung Kirchenmitglieder, Tendenz nicht zuletzt durch Austritte fallend. Im Osten, wo 1950 rund 93 Prozent einer Kirche angehörten, sind heute knapp 70 Prozent der Menschen konfessionslos! Von den katholischen Kirchenmitgliedern in Deutschland kämen 80 Prozent nicht regelmäßig zum Gottesdienst, so Schramm. Unter den regelmäßigen Kirchgängern sehen nur 33,6 Prozent Gott als persönliches Gegenüber an. Fast die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung glaubt nach Umfragen nicht mehr an ein Leben nach dem Tod, in Ostdeutschland sind es 85,8 Prozent.
Der Sozialethikern widersprach Auffassungen, wonach viele von denen, die keiner Kirche mehr angehörten, in anderen religiösen oder pseudoreligiösen Bereichen Ersatz suchten. Beleg sei dafür die Situation im Bereich der neuen Bundesländer, wo die drastisch ausgeprägte Entkirchlichung "nicht durch eine verstärkte Nachfrage nach außerkirchlicher Religion kompensiert" wird. Schramm kommt gemeinsam mit dem ostdeutschen Religionssoziologen Detlef Pollak zu dem Schluss: "Es ist eben nicht nur die Bedeutung der Kirchen zurückgegangen, sondern das Bedürfnis nach Religion überhaupt." Es seien nicht alle Menschen grundsätzlich religiös, wie dies einmal theologische Auffassung war.
Den Kirchen als "bislang einzigen institutionellen Stützen von Religion" komme es zu, dieses Bedürfnis wach zu halten. Schramm: "Es hängt von der Lebendigkeit der Kirchen ab, ob in der Moderne das Religiöse überlebt." Dabei müsse es der Kirche um ein Marketing zwischen "traditionalistischer Verachtung der modernen Gesellschaft" und einer ständigen Anpassung an den aktuellen Markt gehen. Stattdessen sollten die Angebote von einer "lebendigen kirchlichen Identität" geprägt sein. Schramm nennt dies "identitätsorientiertes Kirchenmarketing", was aber nur als Gesamtpaket Sinn mache: "Es nützt nichts, wenn man ein pfiffiges Werbeplakat entwickelt, aber unzufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat und die alltagsästhetische Gestaltung der Gottesdienste die Leute von heute nicht anspricht."
Hinsichtlich der Frage, wie das Unternehmen Kirche seine Produkte vermarktet, plädiert Schramm etwa bei den Angeboten der Gemeinden für eine "Pluralisierung": So sollte es zum Beispiel zumindest in den großen Städten neben der heiligen Messe auch Gottesdienste geben, in denen Menschen "ihren Glaubenszweifeln Raum geben können" und nicht gleich das "Gesamtpaket" von Wortverkündigung und Sakramentenempfang übernehmen müssten. Für junge Leute, die nachgewiesener Weise zu Musik und Rhythmus eine besondere Beziehung haben, sollten regelmäßig Technomessen -wohlgemerkt nicht Gottesdienste mit Jugendliedern und Beatmusik aus der Generation der heute 25- bis 40-Jährigen -angeboten werden.
"Abgesehen von theologischen Unklarheiten" sei die momentane Personalpolitik der katholischen Kirche ,,religionsökonomisch in bestimmten Punkten unbefriedigend". ,,Beispielsweise fehlen bisher klare Verfahrensregeln, was genau jemanden für eine bestimmte Stelle zum Beispiel in einer Großstadtpfarrei qualifiziert", so Schramm. Auch würden in der Realität die entsprechenden Posten oftmals nicht nach Qualifikationskriterien besetzt und ,,Aufstiegschancen" teilweise viel zu früh ,,verschenkt". Gemeinsam mit dem Wiener Weihbischof Helmut Grätzl beklagt Schramm zudem, dass ,,akademisch graduierte Laien in den Pfarreien keine Aufstiegschancen haben", was nicht gerade ermutigend sei, einen solchen Beruf zu ergreifen und auf Dauer motiviert auszuüben.
Als Ausweg schlägt Schramm ein Konzept vor, nach dem sich Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten nach einem fünfjährigen Praxiseinsatz in der Gemeinde in einem differenzierten Verfahren für die Gemeindeleitung qualifizieren könnten. Bei Erfolg könnten sie sich dann um freie Stellen bewerben und als Priester mit der Gemeindeleitung und als Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten mit der Geschäftsführung in einer Gemeinde beauftragt werden. Zudem empfiehlt der Hochschullehrer eine "Mitsprache der Pfarrgemeinden bei Stellenplan und Stellenbesetzung" sowie eine ,,Stärkung der ortskirchlichen Selbstbestimmung" etwa bei der Frage der Beteiligung von kirchlichen Stellen am staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung oder bei der Regelung von Angelegenheiten theologischer Hochschulen. Dabei beruft er sich auf ein Wort Papst Pius XII. von 1946 (!), es gelte das Subsidiaritätsprinzip ,,auch für das Leben der Kirche, ohne Nachteil für deren hierarchische Struktur".
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 04.10.2001