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Aus der Region

Mehrheit bleibt dem Glauben fern

Kirche in Ungarn

Nach der gesellschaftlichen Wende rückten Probleme und Erfahrungen benachbarter Ortskirchen in Mitteleuropa etwas ins Hintertreffen. Doch gerade die dortigen Christen, ihre Priester und Bischöfe sind im Gegenzug sehr an fortgesetzten Gesprächen interessiert. Der Tag des Herrn besuchte den Bischof von Pecs, Mihály Mayer. Das vollständige Interview ist in der Tag des Herrn Ausgabe 29 zum 20. Juli zu lesen

Frage: Fand die ungarische Kirche nach 1989 die Akzeptanz der Menschen

Mayer: Ähnlich wie in anderen, ehemals kommunistischen Staaten war bei uns die Stimmung nach der Wende auch kirchlicherseits voller Begeisterung. Als aber viele gesehen haben, daß es weder Vorteile noch Nachteile mit sich bringt, in der Kirche zu sein, sind manche Wege wieder auseinander gegangen. Dennoch kann ich sagen, daß viele Menschen, die sich einst nicht trauten, offen Christ zu sein, heute ihre Hemmungen verloren haben. Sie und ihre Familien fanden neu zum Glauben.

Frage: Worin sehen sie besondere Schwierigkeiten beim geistigen Umbau des Landes

Mayer: Das große gesellschaftliche Problem ist, daß die extrem-liberalen Kräfte - die jetzt in der Regierung vertreten sind - die Kirche nur als einen Verband sehen und nicht als Teil der Gesellschaft verstehen. Letzteres aber beinhaltet die Tatsache, daß Kirche auch gesellschaftliche Aufgaben hat und diese erfüllen muß. Ich denke hier neben der Aufgabe der Neuevangelisierung an die Vermittlung und Verbreitung von positiven Werten, die unsere Gesellschaft dringend braucht. Dieses Recht wollen uns die extrem-liberalen Kräfte verweigern.

Frage: Wie bringt sich die Kirche in die Gesellschaft mit ein. Können Sie ein Beispiel nennen

Mayer: Die ungarische Bischofskonferenz hatte im vergangenen Jahr einen sozialen Hirtenbrief herausgegeben. Es ging darum, Vorschläge aufzuzeigen, wie es in Ungarn gelingen kann, eine gerechtere und friedlichere Gesellschaft aufzubauen. Wir wollten eine Diagnose erstellen und Möglichkeiten zur Lösung aufzeigen, wobei Fachleute und Wissenschaftler in die Erarbeitung mit einbezogen wurden. Das Wort wurde sehr positiv aufgenommen, war es doch nicht nur für Katholiken geschrieben, sondern für alle gutwilligen Menschen, die mit uns auf diesem Weg weiterdenken wollen und auf die Herausforderungen gemeinsam eine Antwort suchen. Wichtig ist uns aber auch, an das christliche Menschenbild zu erinnern: Daß der Mensch von Gott geschaffen wurde und sich von ihm aus erklärt

Frage: Welche Rolle spielen die Christen in der Gesellschaft

Mayer: Darin sehe ich noch großen Nachholebedarf. Besonders schwierig ist, daß viele Menschen Hemmungen haben, sich als bekennende Christen in der Öffentlichkeit zu engagieren. Eine Ursache ist die Sicht der Gesellschaft auf die Kirche, die sie noch immer als minderwertig auffaßt. Für die Mehrheit der Ungarn ist es immer noch "normal", sich von Kirche und Glauben fernzuhalten. Wenn man hingegen als gläubiger Christ lebt, muß man ein tiefes Bewußtsein haben, und die Identität nicht nur zu Hause sondern auch in der Gesellschaft leben

Besonders schlimm ist, daß wir die christlichen Akademiker in den 40 Jahren des Kommunismus verloren haben und die, die weiterhin Christ blieben, sind es nur privat. So wundert es nicht, daß die Gesellschaft sich heute immer noch so schwer tut, die christlichen Werte zu verstehen und zu akzeptieren.

Frage: Worin sehen Sie Möglichkeiten, dies zu verändern

Mayer: Eine Chance sind die geistlichen Gruppen und Bewegungen - beispielsweise die Fokolare - die sich in den Gemeinden für die Erneuerung des Glaubens stark machen. Sie haben eine große Aufgabe übernommen. Aber es ist für sie ganz normal, dort Christen zu sein, wo sie leben, egal ob im Beruf, in der Familie oder in ihrer Gruppe. Doch sie sind nicht aufdringlich, stellen sich nicht hin mit einer Fahne und sagen: Nun kommt alle hinter uns her. Wichtig ist, daß sie durch ihr anderes Leben Zeugnis von der Kirche und vom Glauben geben. Die Leute können spüren, was christliche und seelische Werte im Leben für eine Bedeutung haben.

Frage: Was kann durch Bildung getan werden, wie ist die Situation der kirchlichen Schulen

Mayer: In der kommunistischen Zeit hatte die katholische Kirche acht Mittelschulen, Gymnasien und diese durften nur mit beschränkten Schüler-Zahlen existieren. Nach der Wende gab es die Möglichkeit, neue konfessionelle Schulen zu begründen. Insgesamt machen die katholischen Schulen in Ungarn zwei Prozent aller Schulen aus. Doch für einige extrem liberalen Politiker ist das auch schon zuviel. Jahrelang war die Situation unserer Schulen von Nachteilen geprägt. Große Schwierigkeiten bereiten uns beispielsweise der äußere und innere Zustand der Gebäude, von denen wir nur einige zurückbekommen haben. Viele Schulen haben einfach zu wenig Platz, um genügend Schüler aufnehmen zu können. Auch fehlt es oft an den nötigen Einrichtungen. An dieser Stelle möchte ich besonders der deutschen Kirche danken, die uns mit gebrauchten Schulmöbeln unterstützte. Doch eigentlich ist das auch irgendwo traurig, stammen sie doch aus christlichen Schulen, die geschlossen werden mußten

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 29 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 20.07.1997

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