Ein Gedanke gewinnt Gestalt
Eine Synagoge für Dresden
Dresden - Im Oktober 1996 wurde in Dresden der Entschluß gefaßt: Unsere Stadt braucht wieder eine Synagoge für ihre Jüdische Gemeinde. Auf die europaweite Ausschreibung hin für den baulichen Realisierungswettbewerb, durchgeführt durch das Staatshochbauamt Dresden, hatte sich eine erstaunlich große Anzahl von Architekturbüros - 180 an der Zahl - um die Teilnahme am Wettbewerb beworben. Aus dem Kreis dieser Bewerber wurden 50 ausgewählt aus Dresden, aus Sachsen, aus Deutschland und aus Europa. Die 57 eingereichten Entwürfe sind in einer Ausstellung bis zum 27. August im Türkenzeltsaal des Dresdner Schlosses im zweiten Obergeschoß zu besichtige
Die große Zahl der Bewerber für den Wettbewerb und die Qualität der eingereichten Arbeiten sind ein ermutigendes Zeichen für das wachsende Verständnis zwischen Juden und Nichtjuden. Die Arbeiten in ihrer Gesamtheit bezeugen ein Gedenken der unheilvollen Vergangenheit, eine Hoffnung auf neues jüdisches Leben in unserer Mitte und ein Angebot neuen gemeinsamen Zusammenlebens, das betonte Bischof Joachim Reinelt, einer der vier Schirmherren des Förderkreises zum Bau der Synagoge Dresden, bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der Ausstellung
Zunächst war für die Jüdische Gemeinde Dresden die naheliegende Frage zu prüfen, soll die Dresdner Sempersynagoge wie die Dresdner Frauenkirche am alten Ort und in der ursprünglichen Form wiederaufgebaut werden? Der Bauherr hat sich aus begreiflichen Gründen dazu entschlossen, daß die Synagoge zwar am alten Ort, aber nicht in der ursprünglichen Form Gottfried Sempers wiederaufgebaut werden soll und zwar aus folgenden Überlegungen heraus. Erstens ist die Stellung der Jüdischen Gemeinde innerhalb der Bürger Dresdens heute anders als vor 160 Jahren zur Zeit von Gottfried Semper
Sie meint nicht mehr wie damals, durch einen neuromanisch-maurischen Monumentalbau auf ihre Bedeutung hinweisen zu müssen. Zweitens ist auch die Zahl der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde heute zwar gewachsen, aber doch erheblich kleiner als zur Zeit des Baus der ersten Synagoge
Der Entschluß, am Standort der alten Synagoge festzuhalten, ist für die Gestaltung von großer Bedeutung. Er bindet den Neubau der Synagoge eng in den Zusammenhang der Bauten der Umgebung ein
Die Entwürfe berücksichtigen das und manche versuchen durch eine Fotomontage den Eindruck zu vermitteln, den die neue Synagoge in ihrer Umgebung machen wird, so ist sie auch in geistiger Weise im Kontext zu sehen: mit der symbolträchtigen wiederaufgebauten Frauenkirche, mit der katholischen Hofkirche, der Kreuzkirche, dem Rathaus der Landeshauptstadt, dem Kulturpalast, der Staatsoper dem Schauspielhaus und manchen anderen Knotenpunkten geistiger Begegnung Dresdens
Der erste Preis des Wettbewerbs wurde doppelt verliehen. Der eine ging an Heinz Tesar aus Wien, der eine Gestaltung wählte, die die neue Synagoge wie eine Wasserwelle aus der Elbe springen, oder wie eine Feuerflamme zum Himmel schlagen läßt. Dieser Entwurf bietet eine beachtenswerte Alternative zu den Symbolen des massiven Rathausturms und anderer Bauwerke des Stadtzentrums
Der andere erste Preis ging an Livio Vaccini aus Locarno, der ganz die Funktionalität des Baus betont, der zu gleichen Teilen, gleich groß und gleichberechtigt das Gotteshaus neben das Gemeindehaus stellt. Man wird in der Nüchternheit des Äußeren an die Schlichtheit der altchristlichen Basiliken Italiens erinnert, die umgebaute römische Markthallen oder Bürgersäle waren, von denen man mit dem Hohen Lied sagen konnte: "Alle Herrlichkeit (der Braut) ist innerlich.
Ist Tesars Entwurf in seiner Zeichenhaftigkeit mutig, so daß er karikierende Spitznamen wie Kralle, Haken oder Registrierkasse provoziert, so scheint der Entwurf von Vaccini von außen betrachtet austauschbar zu sein mit Gebäuden beliebiger anderer Institutionen
Deshalb schauen viele auf den dritten Preisträger, das Architekturbüro von Wendel, Hoefer und Lorch aus Saarbrücken. Er meidet die Extreme der beiden ersten Preisträger. Bei ihm kommt dem Gotteshaus von Größe und Gestaltung besonderes Gewicht zu, während die Gemeinderäume für Lehr- und Kulturveranstaltungen und andere Zusammenkünfte der Gemeinde deutlich davon abgesetzt sind. Der Platz zwischen den beiden Bauten bleibt frei und weist hin auf den Ort, an dem vor 1938 die Sempersynagoge stand. Ein charakteristisches Gestaltungselement des eigentlichen Gotteshauses wird "gedrehter Kubus" genannt. Er kommt dadurch zustande, daß die Synagoge für das Gebet nach Osten - nach Jerusalem - gerichtet sein soll, und das Grundstück aber durch seine Begrenzung durch die Straße nicht genau geostet ist. Dies wird durch eine Drehung im weiteren Aufbau in die Höhe erreicht, so daß die geistige "Orientierung" des Gebäudes zu einem besonderen gestalterischen Akzent wird
Die Ausstellung ist ein Zeichen der Hoffnung sowohl für die Jüdische Gemeinde, als auch für die Bürger Dresdens. Sie kann der Gemeinde Mut machen, ja zu sagen zu einem jüdischen Gemeindeleben. Und sie stärkt die Hoffnung der Dresdner auf eine fruchtbare Begegnung im kulturellen Leben und im religiösen Austausch der beiden biblischen Religionen
Dr. Michael Ulrich
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 03.08.1997