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Aus der Region

Hört auf die Alten

Gastbeitrag

An der Kanzel der ostfriesischen Kirche von Rysum ist ein Bibelwort zu lesen: "Weset Gehorsam juwen Lehreren und folget - Seid gehorsam euren Lehrern und folgt ihnen" (Hebr 13,17). - Mit anderen Worten: Schlagt die Erfahrungen eurer Vorfahren nicht in den Wind. Laßt euch von ihnen etwas sagen. Der flüchtige Besucher wird denken: Typisch Kirche. Die einfachen Leute sollen wie Kinder folgsam sein und abhängig bleiben. Dann ist alles in Ordnung

Die Auswahl dieses Bibelwortes hat einen anderen Hintergrund. Die Alten kannten die Naturgewalten des Wassers. Nicht wenige haben in grauer Vorzeit ihren Leichtsinn mit dem Leben bezahlen müssen. Darum errichteten sie in mühevoller Kleinarbeit Warften in dem weiten flachen Land. Sand und Steine bildeten nun kleine künstliche Inseln, auf denen sie ihre Häuser bauten. Auf dem höchsten Punkt stehen die wuchtigen Kirchen, in denen sie bei Gefahr Zuflucht suchten

Ich stelle mir vor, wie es einst in dem Dorf zugegangen sein muß, als die Flut näher kam. Der Sturm der Nordsee trieb das Wasser heran. Die Keller standen bereits unter Wasser. Schnell wurde das Vieh aus den Ställen getrieben. Alle halfen. Die Hühner hatten sich auf die höchsten Stangen verkrochen. Endlich waren alle - wie in der Arche Noah - auf dem höchsten Punkt angekommen. Mit Mühe fanden die Familien Platz in der Kirche. Hier war es sicher. Das Vieh blökte. Kinder schrien. Einige mußten gestillt werden. Für andere wurde Brei zubereitet. Die Männer beobachteten draußen die Situation. Im "Fething", dem Süßwasserreservoir direkt vor der Kirche, wurde Wasser zum Kochen geholt, denn die Warft war ja von ungenießbarem, salzigem Meerwasser umgeben. Langsam spielte sich das Zusammenleben ein. Jeder hatte seinen Platz gefunden. Als am Abend Ruhe einkehrte, sprach der Pastor das Abendgebet. Das Bibelwort an der Kanzel gewann in dieser Situation seine besondere Bedeutung. Auf die Alten zu hören kann Leben retten

Inzwischen wähnten sich viele in Sicherheit. Fernsehberichte von Überflutungen kamen bisher aus Bangladesch oder Indien. Das ist weit weg. Auch Hamburg und Köln ist fast vergessen. Plötzlich tritt die Oder über die Ufer. Überall die bange Frage: Werden die Deiche halten? Hab und Gut sind in Gefahr, Leib und Leben bedroht. Ganz zu schweigen von den Folgen. Wurden möglicherweise die Erfahrungen der Alten rnißachtet, weil der moderne Mensch der Meinung ist, alle Lebenslagen im Stegreif meistern zu können? Die Meteorologen mahnen vor dem Verharmlosen

Wenn die Deiche brechen, gibt es kein Halten. Das gilt nicht nur in bezug auf das Hochwasser. Auch die Deiche der guten Sitten, der Moral, der Ethik und in vielen Bereichen sogar der Wissenschaft sind in Gefahr. Gewalt auf den Straßen und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Genversuche an Tieren und vielleicht demnächst an Menschen. Korruption in Ämtern. Mafiamethoden im Finanzsektor. Die Zeitungen sind voll davon. Die Dämme weichen auf und drohen zu brechen. Die tödlichen Gefahren sickern bereits durch. Das Bibelwort an der Kanzel von Rysum hat seine Aktualität nicht verloren: Seid gehorsam euren Lehrern und folget ihnen

Wir beten: Großer Gott, wir beten für die Menschen in Tschechien, in Polen und im Osten Deutschlands, die durch das Hochwasser in Not geraten sind. Stärke die Nächstenliebe unter den Betroffenen und gib den Helfern Kraft für ihren schweren Dienst. Herr, wir klagen dir diese Not und bitten um ein Ende der Gefahr

Hans Zinnow

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 32 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 10.08.1997

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